Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
hätte sie dasselbe Schicksal erlitten wie Louise – wie hätte sie da ihre Vergangenheit, ihre frühere Feindschaft nicht beiseiteschieben und ihr helfend die Hand entgegenstrecken können?
»Ich bekomme von Robert ein sehr großzügiges Taschengeld, aber ich trage keine großen Summen bei mir. Ich brauche ein paar Tage, um alles zu organisieren. Komm doch einstweilen mit zu uns und wohne bei uns. Wir könnten jetzt bei deiner Mutter vorbeischauen, ich könnte sie bitten, dass sie dich mir ein paar Tage überlässt, damit du mir Gesellschaft leistest. Aber zuerst sollte ich dir, glaube ich, sagen, dass ich selbst ein Kind erwarte. Wenn du der Ansicht bist, mein Zustand mache die Situation für dich schwer erträglich …«
»Was ich schier unerträglich finde, ist der Gedanke, dass ich je so dumm war zu glauben, George Ponsonby könnte mich lieben. Ich bin kein mütterlicher Typ, Amber, und werde es nie sein. Selbst wenn sämtliche Frauen in London ein so genanntes freudiges Ereignis erwarteten, würde das an meiner Haltung nicht das Geringste ändern. Ich will vor allem von diesem … diesem elenden Ding befreit werden, das mein Leben zerstören könnte.«
Louise war oben im besten Gästezimmer und ruhte sich aus, während Amber unten mit Robert in der Bibliothek saß. Sie hatte sich entschlossen, vollkommen ehrlich zu ihrem Ehemann zu sein.
»Du willst tatsächlich einer Frau helfen, die sich dir gegenüber damals so schäbig verhalten hat?«
»Ich muss immer daran denken, wie leicht ich mich in derselben Lage hätte wiederfinden können wie sie, Robert, wenn du nicht gekommen wärst und mich gerettet hättest. Ich wünschte nur, ich könnte mehr für sie tun.« Sie legte die Hand auf ihren immer noch flachen Bauch, als wollte sie das Leben schützen, das in ihr heranwuchs. Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Ich lasse nicht zu, dass du dich wegen dieser Sache aufregst«, sagte Robert. »Und du darfst dich nicht mit Louise vergleichen. Sie wusste von Anfang an ganz genau, worauf Ponsonby es abgesehen hatte. Meiner Meinung nach hat sie sich ihr Unglück ganz allein selbst zuzuschreiben.«
»Ich muss ihr helfen, Robert.Wenn nicht, würde es mir ewig auf der Seele liegen. Ich wollte nur, ich könnte irgendwie verhindern, dass sie …«
»Das kannst du nicht verhindern«, erklärte Robert entschieden. »Die Leute reden schon. Dank ihrer Indiskretion weiß alle Welt von der Affäre, schließlich hat sie überall damit herumgeprahlt. Schon deswegen wird man ihr nicht verzeihen.Wenn sie jetzt verschwände, würde das die Verdächtigungen nur bestätigen. Ich komme für alle Kosten auf«, fuhr er fort. »Und ich werde Erkundigungen einziehen, damit sie die bestmögliche medizinische Versorgung bekommt. Es gibt gewisse hoch qualifizierte Chirurgen, die Frauen bei den verschiedensten Frauenleiden operieren – privat. Da du so erpicht darauf bist, ihr zu helfen, wäre es vielleicht gut, wenn ihr zwei für ein paar Wochen nach Osterby fahrt. Sie wird sich in aller Ruhe erholen müssen, und wir können verbreiten, man habe dir aufgrund deines Zustands geraten, dich auszuruhen.
Aber danach muss Louise eigene Pläne machen und ihr eigenes Leben führen, Amber. Leute wie sie ziehen Schwierigkeiten an, und sie wird sich nie ganz von den dunklen Seiten des Lebens fernhalten können. Ich lasse nicht zu, dass sie dich damit besudelt. Ich brauche dir hoffentlich nicht zu sagen, dass du Louise nichts von deiner eigenen Geschichte erzählen darfst.«
»Nein, natürlich nicht. Ich werde es überhaupt niemandem erzählen«, versicherte ihm Amber.
Sie war ihm unendlich dankbar, doch es verstörte sie, zu sehen, wie dünn und empfindlich die Sicherheitsleine war, an der sie gehalten wurde.
Wie Seide. Aber Seide war auch unglaublich stark, genau wie sie es sein musste – wie sie sein würde -, um ihr Kind zu beschützen. Stark wie Seide.
So stark wie das Kind, das in ihr heranwuchs. Jean-Phi lippes Kind.Wenn es ein Junge wurde, würde er den kühnen Piratenlook seines Vaters erben? Würde er seine künstlerischen Gaben mitbekommen, seinen Charme und seine Grausamkeit?
Sie durfte nicht so denken. Das Kind, das sie in sich trug, sollte Roberts Kind sein, um seinetwillen noch mehr als um ihretwillen musste sie es als Roberts Kind ansehen, als Kind ihrer Ehe.
Ein Kind ihrer Ehe? Wenn sie gar nicht wie Mann und Frau zusammenlebten? Wenn sie ihre Nächte allein und einsam in einem Ehebett verbrachte, das sie nie mit dem Mann
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