Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
teilen würde, der ihr Gatte war? Das sie nie mit einem Mann teilen würde. Denn das durfte nicht sein. Ein solches Risiko durfte sie nie wieder eingehen, sie kannte schließlich den Preis.
Sie musste stark sein und den Preis zahlen, den das Leben ihr abverlangte.
Robert wäre verärgert, wenn er erführe, dass sie sich bereit erklärt hatte, Louise zu begleiten, das wusste Amber, als sie durch einen Seiteneingang in das Haus in der Harley Street eilten. Aber Louise hatte sie angefleht.
Drei Wochen war es nun her, seit Louise Amber ihre schreckliche Lage gebeichtet hatte.
Amber spürte, wie heftig Louise zitterte, während sie sich an ihrem Arm festklammerte. Eilig wurden sie durch eine Tür gebeten, die rasch hinter ihnen verschlossen wurde, und dann ging es eine Treppe hinauf in einen kleinen Raum, in dem es stark nach Karbol roch.
Eine Krankenschwester erschien, um Louise mitzunehmen, die inzwischen kreidebleich war vor Angst.
»Wenn du es dir noch einmal anders überlegen willst …«, begann Amber.
Doch Louise schüttelte den Kopf. »Ich will es nur hinter mich bringen.«
»Wie lange wird es dauern?«, erkundigte sich Amber bei der Krankenschwester.
»So lange es eben dauert.« Die Krankenschwester presste missbilligend die Lippen zusammen.
Louise war seit beinahe einer Stunde weg, als die Tür zum Wartezimmer aufging und zwei junge Frauen hereinplatzten, stark geschminkt und in zu engen, zu bunten Kleidern. Die Empfangsdame hatte offensichtlich versucht, sie aufzuhalten, doch vergebens. Zwischen sich stützen die beiden Frauen ein junges Mädchen, das sich kaum aufrecht halten konnte.
»Sie können da nicht rein«, protestierte die Empfangsdame. »Und wer zum Teufel soll uns daran hindern? Sie ja wohl nicht. Sie sehen doch, in was für einem Zustand sie ist. Wenn der Doktor sich nicht bald um sie kümmert, kratzt sie uns noch ab. Er sollte mal lieber nach ihr schauen, schließlich hat er das alles verbrochen.«
»Was ist hier los?« Die Krankenschwester kam herbeigeeilt, den Mund zu einem dünnen, harten Strich zusammengekniffen. Im nächsten Augenblick jedoch zeigte sich Besorgnis in ihrer Miene, und sie fragte: »Was macht sie denn hier? Wir haben ihr doch gesagt, sie soll im Bett bleiben.«
»Aye, wenn sie das gemacht hätte, wär sie inzwischen tot. Gepfuscht hat er, und das nicht zu knapp, sie muss versorgt werden, und zwar ein bisschen zackig. Sie blutet wie ein angestochenes Schwein.«
Hinter der verschlossenen Tür erhob sich ein schriller Schrei, bei dem Amber die Nackenhaare zu Berge standen.
»Wie es sich anhört, schlachtet er grade eine andere ab. Na, hoffentlich hat die mehr Glück als unsere arme Maria. Uns hat man ja gesagt, er wäre der Beste, den man kriegen kann. Wahrscheinlich hätten wir im East End jemanden finden können, der es zum halben Preis gemacht hätte, und dazu noch ordentlich.«
»Sie können nicht hierbleiben. Sie müssen sie ins Krankenhaus bringen.«
»Wie, damit sie von da gleich ins Kittchen kommt? Sie bleibt hier, und wenn er nicht will, dass sie auf seinem Teppich stirbt, sollte er sich lieber mal rausbequemen, um sie sich anzuschauen.«
»Wenn ich du wär, Liebchen, würd ich mich schleunigst verdrücken, bevor er mir dasselbe antut«, warnte die andere Frau Amber.
Eine weitere Krankenschwester erschien. Sie kümmerte sich um das arme Mädchen. Der Geruch im Zimmer löste in Amber heftigen Brechreiz aus.
»Ihre Freundin kann jetzt gehen, wenn Sie bitte mitkommen wollen«, sagte die erste Krankenschwester zu Amber und bedeutete ihr, ihr zu folgen.
Im Zimmer hinter der verschlossenen Tür lag Louise auf einem Bett. Ein Laken bedeckte sie. Es roch nach Blut und Erbrochenem.
»Sie muss nach Hause und sich ausruhen.«
Amber nickte. Neben dem Bett stand ein Eimer. Abwesend sah sie hinein, und bei dem, was sie sah, überkamen sie Entsetzen und Übelkeit. Sie zitterte am ganzen Körper, und sie fühlte Todesangst und Seelenqual.
»Kommen Sie«, hetzte die Krankenschwester Louise. »Hier können Sie nicht bleiben.«
Das Leben, das man Louise entrissen hatte, lag reglos in dem Eimer, ein Klumpen aus Fleisch und Blut.
Amber wollte den Blick abwenden, aber irgendwie konnte sie nicht. Schmerz und quälende Schuldgefühle erfüllten sie wegen dieses Lebens, das zerstört worden war. An Louises Stelle hätte sie es nicht ertragen, ein Kind töten zu lassen, und doch hätte sie ohne Robert vielleicht nicht nur das Leben ihres Kindes beenden müssen,
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