Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
erlöschen lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht mehr lange unerwidert bleibt, genauso wenig wie ihre Vereinigung unvollendet«, fügte er offen hinzu, »aber es wird sich über den Sommer hinweg ausbrennen. Ende August sehnt man sich nach der kühlen Frische des Herbstes und nach dem Ende der klebrigen Hitze des Sommers. Kopf hoch, meine Liebe. Vielleicht solltest du dir selbst einen kleinen Flirt erlauben?«
Ein kleiner Flirt.Wenn sie doch nur für etwas so Sicheres geboren wäre. Aber wenn es um ihre Gefühle ging, waren Robert und sie gleichermaßen anfällig für die gefährlichen Untiefen wahrer Leidenschaft. Der Unterschied war nur, dass sie viel zu viel Angst davor hatte, um sich je wieder darauf einzulassen.
Sie hatte zu der Musik eines Orchesters getanzt, das von einem einschmeichelnd attraktiven jungen Österreicher dirigiert wurde, sie hatte ein wenig von einem Buffet gegessen, das sich unter teuren Köstlichkeiten bog, darunter Wachteleier und Belugakaviar, sie hatte sich mit alten Freunden unterhalten, und allmählich wurde es spät, die ersten Gäste brachen schon auf. Amber gestand sich zögernd ein, dass sie Robert suchen gehen musste, denn sie hatte ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen.
»Also, wenn das nicht Ihre Gnaden die Herzogin ist.«
»Henry.« Amber zwang sich zu einem Lächeln. Henrys Züge waren mit den Jahren gröber geworden, sein Haar dünner und sein Körper rundlich. Er schaukelte leicht auf den Füßen vor und zurück, und Amber vermutete, dass er ein wenig betrunken war.
»Beth hat gesagt, dass du bei ihr wohnst. Ich muss sie suchen gehen. Emerald hat mich gebeten, ihr etwas auszurichten.«
»Sie ist schon weg. Ganz wie in alten Zeiten, nicht? Du sagst mir doch Bescheid, wenn du vorhast, dich mit du Breveonet fortzuschleichen, oder? Die Vorstellung möchte ich um nichts in der Welt versäumen.« Er grinste sie anzüglich an und entblößte dabei unangenehm gelbliche, faule Zähne.
Amber machte nicht den Versuch, ihm zu antworten, sondern ging um ihn herum. Er wollte sie aufhalten, doch zum Glück hinderten Daisy und einige Gäste ihn unbeabsichtigt daran, indem sie zu ihm traten, was Amber Gelegenheit gab, zu entfliehen.
»Er ist also immer noch hinter dir her, wie ich sehe?«
Amber war so schockiert, dass sie zu Eis erstarrte.
Jean-Philippe. Er hatte sie mit Henry gesehen? Wie lange beobachtete er sie schon? Was um alles in der Welt war los mit ihr? Er hatte wahrscheinlich nur einen kurzen Blick auf sie erhascht, mehr nicht. Warum sollte er sie beobachten?
»Eigentlich nicht. Er hat mir nur gesagt, dass seine Schwester und ihr Mann schon nach Hause gegangen sind.« Waren ihr Lächeln und ihre Stimme so kühl und abweisend, wie sie es gerne hätte? Würden sie ihn überzeugen und hinters Licht führen? Er war schließlich Künstler, gewohnt, unter die Oberfläche zu schauen und die Wirklichkeit, die darunter lag, ans Licht zu bringen. »Entschuldige mich, ich muss zu meinem Mann.«
Er winkelte den Arm an und bedachte sie mit seinem gefährlichen Lächeln. »Du erlaubst?«
Amber trat einen Schritt zurück.
»Wir haben gemeinsame Bekannte«, erklärte er und richtete den Blick in die hintere Ecke des Saals. Amber folgte seinem Blick, und ihr Mut sank, als sie sah, dass Robert bei einer Gruppe stand, zu der auch Otto gehörte, die Ribbentrops und die Frau, mit der sie Jean-Philippe zu Beginn des Balls gesehen hatte.
Sie konnte sich unmöglich weigern, mit ihm zu gehen. Er würde sich daran ergötzen, und die anderen würden neugierig werden.
Zögernd nahm Amber seinen Arm und versuchte, den Schock zu leugnen, den sie bei der Berührung seiner starken Muskeln verspürte, durch die ein energischer, lebendiger Puls pochte. Jean-Philippe war von Kopf bis Fuß in starken Farben und mit kraftvollen Linien gezeichnet. Es war unmöglich, sich ein Porträt von ihm anders als in kräftigen, dynamischen Ölfarben vorzustellen. Picasso könnte diesen Eindruck, dass er ein großspuriger Pirat ist, wahrscheinlich am besten zum Ausdruck bringen, dachte Amber, um ihre Gedanken auf sicheres, unpersönliches Terrain zu lenken.
Herr von Ribbentrop persönlich stellte Amber Jean-Philippes Begleiterin Gräfin Irene vor. Diese bedachte Amber rasch mit einem abwägenden und dann abschätzigen Blick und erklärte: »Mein Vater stammte aus Warschau«, bevor sie sich kühl an Jean-Phi lippe wandte: »Zigarette, Schatz.«
Setzte die Gräfin Jean-Philippe mit Absicht herab, um ihnen
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