Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
doch erst, nachdem sie die dünne, elegante Frau an seiner Seite gesehen hatte, die ihm besitzergreifend die Hand auf den Arm gelegt hatte.
»O Gott, da sind die Ribbentrops, und sie steuern auf uns zu«, stöhnte Cecil. »Und Goebbels ist auch dabei.«
Und nicht nur Goebbels, sondern eine ganze Phalanx hochrangiger uniformierter SS-Männer und drei oder vier andere, die nicht in Uniform waren, darunter Otto von Brecht.
Oscar Wilde könnte sicher ein äußerst amüsantes und zynisches Stück darüber schreiben, wie ein Mann und eine Frau unter solchen Umständen zufällig auf ihre früheren Liebhaber treffen, dachte Amber mit sinkendem Mut. Aus dem instinktiven Wunsch, Robert abzuschirmen und zu beschützen, trat sie automatisch ein wenig näher an ihn heran. Sie hörte, wie er nach Luft schnappte, und wusste genau, was er empfand. Schließlich hatte sie gerade beim Anblick von Jean-Philippe dasselbe empfunden.
Das Leben konnte sehr grausam sein, konnte menschliche Entschlusskraft und Leidensfähigkeit bis zu den Grenzen des Erträglichen auf die Probe stellen – und manchmal auch darüber hinaus.
Robert hatte immer noch kein Wort gesagt. Erinnerte er sich, genau wie sie, an jene schreckliche Nacht in Berlin, als seine Liebe zu Otto ihn in eine solche Verzweiflung gestürzt hatte, dass er sich das Leben hatte nehmen wollen? Sie hatten nie darüber gesprochen, doch Amber würde diese Nacht nie vergessen.
Die Deutschen hatten zu ihnen aufgeschlossen. Amber erstarrte, denn sie fürchtete sich davor, noch einmal mit ansehen zu müssen, wie Otto Robert öffentlich demütigte. Zu ihrer Erleichterung wandte Robert sich ab. Amber nahm ihn am Arm. Dann sah sie aus dem Augenwinkel, dass Otto sich bei seinen Freunden entschuldigte und rasch ausschritt, um Robert mit einem warmen Lächeln in den Weg zu treten und die Hand auf Roberts freien Arm zu legen.
Ich könnte mich genauso gut in Luft auflösen, dachte Amber. Es war herzzerreißend, fast mitleiderregend, mit anzusehen, wie Robert plötzlich zum Leben erwachte und wieder der charmante, sorglose Robert wurde, an den sie sich von ihrer ersten Begegnung her erinnerte. Nur dass es diesmal nicht sie war, die ihn zum Leben erweckt hatte, sondern Otto. Otto mit seinem Lächeln und seiner Berührung und diesem gewissen Etwas in seinem Verhalten, das offen davon sprach, dass er Versöhnung suchte.
»Der arme Robert, man muss zugeben, dass der junge Otto ein ungeheuer attraktiver Bursche ist. Man stelle sich nur vor, dieses harte teutonische Eis zum Schmelzen zu bringen! Mir ist ein Kribbeln über den Rücken gelaufen, als er mir die Hand geschüttelt hat, aber das kann auch an der Kraft gelegen haben, mit der der Nazi zugedrückt hat«, erzählte Cecil Amber auf seine spaßige Art eine halbe Stunde später, als sie und Robert in der Menschenmenge voneinander getrennt worden waren.
»Zieh das bitte nicht ins Lächerliche, Cecil«, flehte Amber. »Ich mache mir große Sorgen um Robert. Er kommt erst allmählich wieder auf die Beine. Das wird ihn gewaltig zurückwerfen. Ich werde ihm vorschlagen, dass wir in die Villa zurückkehren.« »Sehr unklug, meine Liebe, und vermutlich sinnlos«, meinte Cecil. »Ich habe Robert und Herrn von Brecht gerade in einem der kleinen Salons gesehen, die an den Ballsaal grenzen. Ihrem heißen Tête-à-Tête nach zu schließen, wird alles, was du Robert zu sagen hast, auf taube Ohren stoßen.«
»Sie waren zusammen? Aber Robert war doch hier bei mir, bis Emerald mich weggezerrt hat, damit ich mir Daisys Halskette ansehe. Otto mag jetzt sehr freundlich sein, aber als wir zur Olympiade in Berlin waren, hat er Robert behandelt wie Luft.«
»Nun, wie es aussieht, möchte der junge Mann jetzt sozusagen die Toten wieder zum Leben erwecken, denn als ich sie gesehen habe, hat er sich sehr viel Mühe gegeben, ihrer Freundschaft neues Leben einzuhauchen.«
»Oh, Cecil, sag das bitte nicht. Robert liebt ihn so sehr, und …« Amber biss sich auf die Lippe. Sosehr sie Cecil auch mochte, sträubte sich doch etwas in ihr, ihm von Roberts Selbstmordversuch zu erzählen.
»Ich kann nur immer wieder wiederholen, dass Robert großes Glück hat, dich zur Frau zu haben. Versuch dir keine Sorgen zu machen. Meiner bescheidenen Erfahrung nach heizt Zurückweisung die Flammen einer solchen Leidenschaft noch an, wenn die Gefühle aber erwidert werden, erstickt das Feuer. Allein die Tatsache, dass Otto sich jetzt um Robert bemüht, könnte Roberts Verlangen nach ihm
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