Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
war. Doch was wäre, wenn sie Jean-Philippe sah und erkannte, dass Luc ihm doch ähnlich sah, und zwar so sehr, dass es anderen auffallen könnte? Sie empfand es inzwischen seit langem als selbstverständlich, dass Luc von allen als Roberts Kind betrachtet wurde. Würde das reichen? Amber betete darum.
Der Ball fand im Hotel Royal-Riviera in Cap Ferrat statt, und die Straße zum Hotel wurde von Limousinen gesäumt, die darauf warteten, ihre Gäste vor dem Hotel abzusetzen.
Robert hatte recht, mich zu drängen, das neue Kleid zu tragen, dachte Amber, als sie das Foyer betraten und sie sah, wie elegant und erlesen alle gekleidet waren.
Neben Daisy, die sie beide mit einem warmen Lächeln begrüßte, hatte Amber bereits Emerald Cunard entdeckt und Millicent Roberts, die Tochter des Ölbarons – beide berühmte Gastgeberinnen, besonders Emerald mit ihrem legendären Schmuck und ihrem Ruf für großzügige Gastlichkeit. Sie erspähte die französischen Aristokraten Comte Etienne de Beaumont und den Prince de Condé und ihren Kreis und Sir Charles und Lady Mendl, den britischen Botschafter und seine Frau.
»Sieht aus, als wäre die ganze europäische Gesellschaft hier versammelt«, murmelte Amber Robert zu, als sie den Ballsaal betraten.
»Und nicht nur die europäische Gesellschaft«, antwortete Robert. »Da drüben sind der Aga Khan und der Maharadscha von Jaipur.«
»Robert, ist das hier das Paradies oder nicht?«
»Jemandem mit deinem theatralischen Geschmack muss es hier ja gefallen«, sagte Robert lachend zu Cecil Beaton, der sich zu ihnen gesellt hatte.
»Daisy schmollt, weil ich mich geweigert habe, ihre Gäste en masse zu fotografieren, aber ich habe ihr gesagt, dass ich nicht der Komplize irgendeines Klatschkolumnisten bin und sie Tom Driberg hätte bitten sollen, ihr jemanden vom Daily Excess zu empfehlen, wenn es das ist, was sie wollte.«
»Arme Daisy. Sie wird sehr traurig sein. Du bist aber auch wirklich gemein, Cecil«, sagte Amber.
»Du siehst köstlich aus in diesem Kleid, Amber. Dreh dich um und lass dich mal richtig anschauen.«
Gehorsam tat Amber wie ihr geheißen und erstarrte. Die Stimmen von ihrem Mann und Cecil verklangen.Von den unzähligen Gästen, die sich in dem Ballsaal drängten, sah sie nur einen. Und er stand da und starrte sie an, als würde er nur sie sehen.
Durch seine Löwenmähne zogen sich feine graue Strähnen, und entweder die Sonne oder das Leben oder beide hatten neue Falten in seine Haut gegraben. Auch der Ohrring war verschwunden, doch diese Veränderungen betonten nur, was er war, statt davon abzulenken. Seine breiten Schultern zeichneten sich unter der Smokingjacke ab, und seine Augen brannten genauso leidenschaftlich wie damals. Amber redete sich ein, dass sie ihn nur wegen Luc so gründlich musterte, dass sie um ihres Sohnes willen jeden Zug studierte und in ihre Erinnerung brannte, die gewölbten Augenbrauen, die leichte Krümmung seiner Nase, die scharf hervortretenden Wangenknochen und den energischen Unterkiefer, von olivbrauner Haut überspannt – all das prägte sie sich ein, um es am Ende mit den Zügen ihres Sohnes zu vergleichen.
Und dann die lässig geschürzten Lippen und die Art, wie er sie mit seinem gefährlichen, spöttischen männlichen Blick anschaute – nahm sie auch das in allen Einzelheiten in sich auf, weil sie glaubte, es eines Tages an ihrem Sohn wiederfinden zu können?
Er starrte auf ihren Mund, sein Lächeln wurde breiter, und ihr Herz begann mit der Macht eines Vorschlaghammers zu dröhnen.
»Jean-Philippe.«
Ob sie seinen Namen tatsächlich gesagt oder nur mit den Lippen geformt hatte, spielte keine Rolle. Er hatte die verräterische Bewegung ihrer Lippen gesehen.
»Amber«, sagte Roger, »Cecil hat gerade gesagt, dass er vorhat, nach Mougins zu fahren, um Lee Miller und Man Ray zu besuchen, und er hat vorgeschlagen, dass wir ihn begleiten.«
»Ja, ja, das wäre prächtig«, antwortete Amber zerstreut.
Sie konnte kaum atmen, geschweige denn vernünftig denken oder reden. Sie war voller Panik und Grauen und Aufregung und fühlte sich wie ein siebzehnjähriges Mädchen und nicht wie eine Frau und Mutter. Sie war eine Frau, deren Körper sich daran erinnerte, dass Jean-Philippe ihr erster und einziger Liebhaber gewesen war.
»Daisy hat viel zu viele Leute eingeladen«, beschwerte Cecil sich.
»Das macht sie doch immer.« Amber zwang sich mit aller Macht, normal zu wirken. Sie hatte Jean-Phi lippe den Rücken zugewandt,
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