Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Risiko einzugehen, wieder verletzt zu werden, doch sie spürte schon, dass er sich von ihr zurückzog, wie immer, wenn er eine neue Affäre anfing.
»Mrs Pickford, wenn ich kurz mit Ihnen sprechen könnte …?«
Blanche sah den Arzt an, der ein wenig unbehaglich in der Tür zu ihrem Arbeitszimmer stand. Sie legte den Stift weg und schloss das Haushaltsbuch, das sie überprüft hatte.
»Falls es um das chinesische Gör geht …«
»Nein, es geht um Gregory.«
»Falls Sie mir sagen wollen, dass er zu viel trinkt, Dr. Brookes …«, setzte sie an, doch der Arzt unterbrach sie, indem er den Kopf schüttelte.
»Das tut er, ja, doch das ist nicht der Grund, warum ich Sie sprechen möchte.«
Blanche unterdrückte einen leisen Seufzer. Statt sie glücklich zu machen, hatte Gregs Rückkehr ihr bislang nichts als Sorgen bereitet.
»Dann gehen wir wohl besser in die Bibliothek. Ich lasse uns einen Tee bringen.«
»Für mich nicht, Madam.«
Dann ist es ernst, dachte Blanche.
»Sie wissen sicher einiges über das Leben Ihres Enkels in Hongkong?«, begann der Arzt, sobald sie zu beiden Seiten des hohen Fensters saßen, durch das die Sonne in den eleganten zweigeschossigen Raum strömte. Eine Galerie, die über eine polierte Eichentreppe zu erreichen war, bot Zugang zum zweiten Stock, und im Winter brannte in dem riesigen offenen Kamin ein Feuer, das den ganzen Raum wärmte.
Trotz seiner Proportionen verband der Raum Eleganz mit Behaglichkeit, ein Raum für einen Mann, der auch Blanches Geschlecht in seinen Mauern willkommen hieß.
Neben den hochlehnigen Ledersesseln links und rechts vom Kamin und dem Knole-Sofa davor boten kleine, um Tische arrangierte Sitzgruppen dem Bücherwurm eine heimelige Umgebung.
Doch Blanche war keine große Leserin, deswegen saß sie lieber hier am Fenster, wo man hinausschauen konnte in die Wirklichkeit und die Gegenwart, statt in den Raum mit seinem Wissen über die Vergangenheit.
»Wie sollte ich nichts darüber wissen«, antwortete sie in scharfem Ton auf Dr. Brookes Frage, »schließlich hat er den Beweis in Form seines Kindes mit nach Hause gebracht.«
Die schweren dunkelroten Seidenvorhänge, zu denen Amber sie überredet hatte, eine Replik des ursprünglichen Entwurfs von Vanbrugh für diesen Raum, riefen eine Glut hervor, die das kälteste Herz und den kältesten Tag wärmte, wie Blanche sich eingestand, und sie musste der Versuchung widerstehen, die Hand auszustrecken und über den schweren Stoff zu streichen.
Amber war es, die über Seide strich wie über die Haut eines geliebten und teuren Kindes, nicht sie.
»Es gibt keine Möglichkeit, Ihnen dies schonend beizubringen«, sagte der Arzt unbehaglich, »aber ich muss es Ihnen sagen. Ich mache mir große Sorgen.«
Blanche wartete, während der Arzt mit sich rang.
»Gregory hat sich eine unheilbare Geschlechtskrankheit zugezogen.«
Der Arzt spürte, wie er leicht anfing zu schwitzen. Es war abscheulich, doch er musste Blanche Pickford warnen, was sie erwartete, sowohl um Gregorys willen als auch um aller anderen willen. Blanche würde natürlich erwarten, dass Greg heiratete.
Eine Geschlechtskrankheit , hatte der Arzt gesagt. Blanches Denkprozesse schienen sich verlangsamt zu haben, steckten fest in einem Sumpf aus Unglauben und Schock. Sie erinnerte sich daran, wie Marcus freimütig und zornig über all die jungen, naiven Soldaten gesprochen hatte, die sich bei französischen Prostituierten mit Geschlechtskrankheiten angesteckt hatten.
»Welche Krankheit?«, fragte sie fest.
»Eine schlimme. Syphilis.«
»Syphilis?« Sie wusste natürlich, was das war. »Sind Sie sich ganz sicher?«
»So sicher, wie ich mir in diesem Stadium sein kann. Gregory weigert sich jedoch, meine Diagnose zu akzeptieren. Er glaubt, ich wolle ihm nur Angst einjagen.«
»Aber wenn Sie recht haben, dann kann man doch gewiss etwas dagegen unternehmen?«
Das Rot der Seide bot jetzt keinen Trost, es war vielmehr die Farbe des Zorns und des Blutes, die Farbe verlorenen Lebens und zerstörter Hoffnungen. Wie immer war die Seide ihr Feind, der Dieb, der ihr alles stahl, woran ihr Herz hing. Den Mann, den sie begehrt hatte, ihren geliebten Sohn und jetzt auch noch Greg – ein fauler Ast an einem verkrüppelten Baum, beide der Zerstörung anheimgegeben.
Sie war sichtlich schockiert, doch sie nahm die Nachricht mit so viel Selbstbeherrschung auf, wie Dr. Brookes gehofft hatte.
»Ich fürchte nicht. Es gibt kein Heilmittel.« Der Arzt hätte ihr
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