Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
während Amber jedes Detail des Ensembles in sich aufnahm. Ihr Herz pochte voll Ehrfurcht angesichts des herrlichen Stoffes und des kreativen Genies der Modeschöpferin.
»Sie ziehen das Schiaparelli den Chanels vor?«
Amber schreckte auf. Sie war so vertieft gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie Cecil Beaton sich ihr zuwandte.
»Es ist aus Seide«, erklärte sie schlicht, »und die Farbe …« Sie schüttelte den Kopf, denn sie konnte einfach nicht in Worte fassen, was es bedeutete, eine so atemberaubend lebenssprühende Farbe direkt vor sich zu haben, statt sie nur als flüchtig skizzierte Modeimpression in einer Zeitschrift zu sehen. So stark, so kraftvoll wirkte sie, dass sie beinahe eine eigene physische Präsenz besaß. Ein solches Zitronengelb zu erzielen war schon eine Kunst an sich.
»Ich habe mich gefragt, womit sie es wohl gefärbt haben. Ich habe das Ensemble in der Vogue gesehen, aber ich habe mir keine Vorstellung davon gemacht, wie es in Wirklichkeit aussehen könnte.« Gerade noch rechtzeitig merkte sie, dass der Fotograf ein wenig verletzt dreinblickte, und versicherte ihm wahrheitsgemäß: »Ihre Bilder sind wunderbar und fangen die Wirklichkeit auf eine Weise ein, wie es eine Skizze nie könnte.«
Lord Robert hatte einen Kellner herbeigerufen und bestellte Cocktails.
»Dubonnet und Gin für Mr Beaton und mich«, sagte er zum Kellner. »Halb und halb, sehr kalt geschüttelt, und, ähm, für die junge Dame eine Limonade.«
»Deswegen liegt die Zukunft der Modezeitschriften auch in der Fotografie.« Cecil Beaton lächelte Amber nun wohlwollend an. »Dauernd erzähle ich das der Vogue , aber hört mir dort einer zu? Nein, keiner, weil man dort nicht mit der Zeit gehen kann. Lauter Dummköpfe, aber die Entwicklung wird mir recht geben. Die Kamera kann die Wirklichkeit viel schärfer und genauer abbilden als ein alltäglicher Modezeichner mit seinen Farbtuben. Die Modelle von Schiaparelli sind ein typisches Beispiel.Wie Sie gerade gesagt haben, ist es unmöglich, die Farbe ihrer Kleider ohne Kamera realistisch abzubilden. Sie ist natürlich eine wahre Künstlerin und sehr begabt, aber lassen Sie sich warnen, mein Kind, wenn Sie die Zukunft Ihrer Seide bei ihr suchen, schauen Sie am falschen Ort. Ich bin überzeugt davon, dass die Zukunft der Mode bei Chanel liegt mit ihren praktischen Pullovern und Jacken und ihrer raffinierten, täuschenden Schlichtheit. Meiner Meinung nach wären Sie gut beraten, sich eher auf Seidenstoffe zu konzentrieren, mit denen man das Heim schmücken kann und weniger den menschlichen Körper.«
Er nahm einen Schluck von seinem Cocktail und dann noch einen. Dann stellte er das Glas ab, um sich die nächste Zigarette anzuzünden, und fuhr fort: »Uns steht eine Zeit großen Wandels bevor, und das nicht nur auf dem Gebiet der Mode. Sie sollten ein Augenmerk auf die Innenarchitektur haben, denn dort wird es die größte Nachfrage nach neuen, innovativen Stoffen geben. Sich das Heim von einem Top-Innenarchitekten gestalten zu lassen ist in New York bereits der letzte Schrei. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, will eine Wohnung, die einerseits vollkommen individuell und einzigartig ist, andererseits aber den Eingeweihten verrät, dass ein Fachmann Hand angelegt und das Ergebnis Stil hat. Dahin sollten Sie sich in Zukunft orientieren. Sprechen Sie mit Lees-Milne. Er ist vollkommen verrückt nach Häusern und kennt die besten allesamt. Die Kunstakademie ist ja schön und gut, aber Sie lernen dort nicht, einen Blick oder ein Gefühl dafür zu entwickeln, was richtig oder falsch ist. Aber irgendetwas sagt mir, dass Sie diesen Blick, dieses Gefühl bereits haben. Lassen Sie sich von Ihrer Leidenschaft leiten. Leidenschaft sollte man niemals unterschätzen oder ignorieren.«
Aufmerksam hörte Amber ihm zu, voll Ehrfurcht und Dankbarkeit, dass er sich die Zeit nahm, sie mit seinem Rat zu beglücken. Ihre Zukunft, die eben noch trostlos und bedrückend erschienen war, steckte auf einmal voller wunderbarer Möglichkeiten.
Schüchtern vertraute sie ihm an: »Mein Vater hat immer gesagt, dass wir nicht mit der Zeit gegangen sind und dass …« Sie hielt inne, als eine atemberaubend schöne Frau in einem weich fließenden losen Gewand in Begleitung eines schlanken, dandyhaften jungen Mannes mit faunhaften Zügen auf sie zukam und ausrief: »Robert und Cecil, was für ein glücklicher Zufall! Ich brauche dringend eure Hilfe, und, wie du siehst, Cecil, habe ich deinen
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