Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
auszuschlagen.
Sie nahmen ein Taxi ins Ritz, und beim Eintreten verneigte sich der Türsteher und sagte: »Guten Tag, Lord Robert. Mr Beaton wartet schon an Ihrem Tisch auf Sie.«
»Danke, Mullins«, erwiderte ihr Begleiter und sagte zu Amber: »Kommen Sie, mein Kind.«
»Lord Robert« hat der Türsteher ihn genannt, dachte Amber.
Amber war mit ihrer Großmutter schon einmal im Ritz gewesen, doch all die Pracht schüchterte sie immer noch ein.
Als sie sich dem Tisch näherten, an dem bereits ein junger Mann saß, sprangen zwei Kellner herbei, um ihnen die Stühle herauszuziehen.
»Cecil, mein Bester.« Lord Roberts Stimme hatte einen schleppenden Tonfall angenommen, und Amber hatte den Eindruck, als hätte sich seine gesamte Haltung auf subtile Weise verändert. Er lachte und scherzte nicht mehr, sondern gab sich lässig und elegant. »Entschuldige die Verspätung, aber du wirst mir vergeben, wenn du erst erfährst, dass ich dieses arme, elende Kind gerettet habe.«
»Das ist kein Kind, Robert, das ist eine junge Frau«, erwiderte der Mann leicht gereizt.
»Ah, ja, aber eine junge Frau, die Lorenzos Porträt betrachtet, weil sie die Qualität seines Seidenrocks analysieren möchte. Ich habe den Verdacht, sie fürchtet, die satte Farbe sei eher auf die Farbpalette des Künstlers zurückzuführen als auf die Färbereien in Brügge.«
»Aha.« Das wurde mit einem scharfen Blick in Ambers Richtung geäußert.
»Cecil ist richtiggehend besessen von Farben, Prinzessin – er macht die armen Mannequins, die er für die Vogue fotografiert, noch ganz verrückt.«
Cecil? Das hier war Cecil Beaton! Vor ihr saß wirklich der große Fotograf, dessen Arbeiten in der Vogue sie voller Bewunderung betrachtet hatte. Amber war sprachlos vor Ehrfurcht.
»Du redest Unsinn, Robert. Und nun sag mir, wer das Kind wirklich ist«, verlangte der Fotograf.
Amber warf Lord Robert einen flehenden Blick zu, doch es war zwecklos.
»Sie heißt Amber Vrontsky, ihr Vater war Adam Vrontsky, und sie ist eine der diesjährigen Debütantinnen. Ich habe sie in der National Gallery gefunden, und sie war in Tränen aufgelöst wegen des Hofknickses. Aber jetzt ist alles wieder gut, nicht wahr?« Im Blick des schönen Mannes lag eine Spur schalkhaftes Vergnügen.
»Eine Vrontsky? Wirklich?« Cecil Beaton kniff die Augen zusammen. »Nun, Kind, war Ihr Vater der Prinz oder der Graf? Ich erinnere mich, dass sie denselben Namen trugen.« Er klappte sein Zigarettenetui auf und bot es ihr an. Amber schüttelte den Kopf und sah zu, wie er sich an Lord Robert wandte, der eine von den russischen Zigaretten nahm.
»Weder noch«, sagte sie zu dem Fotografen, der sie aus schmalen Augen genau beobachtete, während er eine stark parfümierte Rauchwolke ausstieß. »Er war Künstler und Stoffdesigner.«
Mit angehaltenem Atem wartete sie auf die wohlvertraute Verachtung, doch Cecil Beaton sog nur scharf den Atem ein und meinte dann: »Wahrhaftig, ein Prinz unter den Menschen.«
»Ja, das war er«, stimmte Amber ihm stolz zu. »Und ich wünschte mir so sehr, meine Großmutter würde mir erlauben, auf die Kunstakademie zu gehen, wie es sein Wunsch gewesen war.«
»Sie wollen Künstlerin werden?«
»Nein«, erwiderte Amber. »Ich will das machen, was mein Vater gemacht hat, und neue Muster für unsere Seide entwerfen – meine Großmutter besitzt eine Seidenfabrik.«
In diesem Augenblick kam der Tee, und danach wandten sich die beiden Männer einem gesellschaftlichen Ereignis zu, an dem sie beide teilgenommen hatten, während Amber die Umgebung musterte und mit einem Ohr ihrer Unterhaltung lauschte. Hier und da schnappte sie einen Namen auf und erkannte voll Ehrfurcht, dass es sich um jemand Berühmten handelte, doch weitaus überwältigender und aufregender als das Gespräch war die Kleidung der Damen, deren Anblick sie gierig in sich aufsog. Die Kleider, die sie bisher nur als Modezeichnungen oder Fotos in der Vogue gesehen hatte, waren plötzlich lebendig geworden, bewegten sich im Einklang mit den Körpern, die sie umhüllten. Mit leisem Bedauern stellte sie fest, dass die Jerseymode von Chanel allgegenwärtig war, denn fast jede Frau trug sie. Doch dann erblickte sie eine Frau in einem Modell von Schiaparelli – und war verloren. Mit angehaltenem Atem verfolgte sie gebannt die fließenden Bewegungen des Seidenkleids, das mit einem eleganten, wunderschön geschnittenen passenden Seidenjäckchen kombiniert war. Alles und jeder um sie herum war vergessen,
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