Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
einfach nicht zu den weltgewandten jungen Dingern gehörte, die immer auf dem Quivive waren. Sonst wäre ihr längst klar gewesen, was er anzudeuten versuchte. Überhaupt, in dem Fall hätte es gar keiner Andeutung – oder Warnung – seinerseits bedurft.
»Verflixt, Amber«, protestierte er unbehaglich, »du glaubst doch nicht etwa wirklich, dass Großmutter dich auf die Kunstakademie gehen lässt? Du weißt doch, wie sie ist.«
»Aber sie hat gesagt, sie hätte eine besondere Überraschung für mich. Etwas, was mein ganzes Leben verändern würde, und dass ich großes Glück hätte, so etwas zu bekommen.«
»Kann schon sein.Von der Kunstakademie redet sie jedenfalls nicht, Amber. Das weiß ich zufällig genau.«
»Wovon denn dann?«
Greg schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen, doch Amber war schneller. Sie schloss die Tür und lehnte sich mit entschlossenem Blick dagegen.
»Du verlässt dieses Zimmer nicht eher, als bis du es mir gesagt hast, Greg.«
»Es wird dir nicht gefallen«, prophezeite er. »Ich war auch nicht gerade begeistert, als sie mir eröffnete, dass ich mich ins Parlament wählen lassen soll, aber du kennst ja Großmutter. Außerdem hat sie den Daumen auf den Finanzen.«
Da ihre Großmutter keinen Hehl aus der Tatsache machte, dass Greg ihr Lieblingsenkel war, hatte Amber immer angenommen, er bekäme alles, was er sich wünschte. Die Vorstellung, dass dem womöglich gar nicht so war, war ihr vollkommen neu, und irgendwie empfand sie es auch als beunruhigend, gerade so, als entwickelten sich im stillen, hübschen See des Anwesens plötzlich gefährliche Strömungen.
»Aber wenn du doch kein Abgeordneter sein willst, warum …«
»So einfach ist das nicht, Amber – das ist es nie.«
Greg seufzte und setzte sich auf einen der eleganten Sheraton-Stühle, die neben dem Kamin platziert waren.
»Komm, setz dich«, sagte er zu ihr, beugte sich vor und klopfte auf das verblasste Chintzpolster des zweiten Stuhls. Dann streckte er die langen Beine aus. »Wir haben noch ein paar Minuten, bevor du runter zu Großmutter musst.«
Gehorsam nahm Amber Platz.
»Großmutter schickt dich nicht nach London, damit du dort die Kunstakademie besuchst. Deine Erziehung soll dort allerdings schon den krönenden Abschluss bekommen.«
»Den krönenden Abschluss?«
»Ja, in dem Sinn, dass du dein Debüt in der vornehmen Gesellschaft machst und dir einen adeligen Ehemann angelst.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Amber die Bedeutung seiner Worte erfasst hatte, doch dann schüttelte sie vehement den Kopf.
»Nein. Das kann sie nicht machen. Unmöglich. Ich will nicht … ich weigere mich …« Sie war aufgestanden, ohne sich dessen bewusst zu sein, und stand nun mit geballten Fäusten vor Greg. »Du irrst dich, Greg. Das ist unmöglich. Außerdem geht es doch gar nicht, schließlich gibt es in unserer Familie niemanden, der mich bei Hofe vorstellen kann.«
Im Internat hatte Amber alles über die Geheimnisse des gesellschaftlichen Debüts und die damit verbundenen Regeln erfahren, und man hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie als Enkelin eines Seidenfabrikanten, egal wie wohlhabend, nicht über den richtigen Stammbaum verfügte, um in den exklusiven Kreisen der Aristokratie akzeptiert zu werden. Ihr war das gleichgültig. Sie konnte sich kein schlimmeres Schicksal vorstellen, als in eine dynastische Zweckehe gedrängt zu werden, wie sie wohl den meisten ihrer Mitschülerinnen bevorstand.
»Großmutter wird immer einen Weg finden, das durchzusetzen, was sie will, Amber.«
»Aber warum sollte sie das wollen?«
Greg zuckte die Schultern. Amber tat ihm leid, dennoch hatte er ursprünglich nicht die Absicht gehabt, sich in ein derartiges Gespräch verwickeln zu lassen. Doch jetzt war es zu spät, sich zu wünschen, er hätte gar nicht erst damit angefangen.
»Barrant de Vries«, erklärte er kurz und bündig. »Er ist der Grund.«
»Jays Großvater? Das verstehe ich nicht.«
»Es ist eine lange Geschichte, ich habe sie selbst erst vor kurzem erfahren, allerdings aus einer verlässlichen Quelle.« Greg hielt inne und überlegte, wie viel er sagen sollte. Amber war naiv und vertrauensvoll, er wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Sie brauchte nicht zu erfahren, woher er das alles wusste.
»Als junges Mädchen hatte Großmutter es darauf abgesehen, Barrant de Vries zu heiraten, und sie hat daraus nie ein Geheimnis gemacht.«
Amber keuchte auf, doch Greg achtete nicht darauf und fuhr
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