Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
als de Vries sie abblitzen ließ.«
Amber konnte das alles kaum fassen.
»Greg, bitte sag doch so was nicht. Das ist nicht nett«, bat sie ihren Cousin. »Ich weiß, dass du mich gern aufziehst, aber …«
»Ich mache keine Witze, Amber.«
»Hat Großmutter dir denn gesagt, dass es so ist?«
»Nein.«
»Dann stellst du also nur Vermutungen an, Greg. Ich bin mir sicher, dass du dich irrst. Zum einen …«
»Ich irre mich nicht, Amber. Wenn du unbedingt die Wahrheit wissen willst: Ich habe zufällig draußen vor ihrem Arbeitszimmer gestanden, als sie mit Jay Fulshawe darüber gesprochen hat. Irgendetwas über eine Zahlung, die sie an irgendeine Lady tätigen wollte, damit die dich bei Hofe vorstellt.«
»Jay weiß Bescheid ?« Es fühlte sich wie ein doppelter Verrat an. Sie mochte Jay, hatte ihn sogar dafür bedauert, dass er so hart für ihre Großmutter arbeiten musste, während Greg, der mit ihm in Eton gewesen war, ein Leben der Muße genoss.
Amber zitterte so sehr, dass sie sich setzen musste. Es konnte nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein.
»Ich will keinen adeligen Ehemann. Ich will überhaupt noch nicht heiraten, und wenn, dann …«
»Es zählt das, was Großmutter will. Nicht, was wir wollen.«
Greg machte keine Scherze. Im Gegenteil, so ernst hatte Amber ihn noch nie erlebt.
»Das steht vollkommen außer Frage«, warnte er sie. »Sie kriegt immer das, was sie will.« Er sah sie an und lächelte ironisch. »Denk daran, wie sie das Haus und den Besitz hier bekommen hat. Lord Talbots Nachlassverwalter wollten Denham Place eigentlich gar nicht an sie verkaufen, aber bei der Menge an Erbschaftssteuer, die zu zahlen war, nachdem Lord Talbot ohne direkten Nachkommen gestorben war, ist ihnen am Ende gar nichts anderes übrig geblieben.«
Dass Greg Denham Place erwähnte, lenkte Amber kurzfristig ab. Sie liebte den schönen, von Vanbrugh erbauten barocken Landsitz mit den eleganten Räumen im ersten Stock. Nicht dass Denham Place je ihr gehören würde.
»Denham Place ist wunderschön, Greg«, sagte sie träumerisch zu ihrem Cousin. »Es soll zu Vanbrughs Lieblingshäusern gehört haben, obwohl es einer der kleinsten Landsitze ist, die er je entworfen hat.«
Greg zuckte mit den Schultern. Er interessierte sich nicht im Geringsten für Architektur oder Design.
Die Uhr schlug drei. »Großmutter erwartet dich.«
Und Greg hatte eine Verabredung, obwohl er sich nicht ganz sicher war, ob er sie wirklich einhalten wollte. Was aufregend begonnen hatte, war in letzter Zeit zu einer ziemlichen Belastung geworden. Greg machte sich nicht viel aus großen Gefühlen, noch weniger aus tränenreichen Szenen, und doch steckte er jetzt in einer so vertrackten Situation, dass er kaum wusste, wie er sich herauswinden sollte.
Er jedenfalls hätte mit beiden Händen zugegriffen, wenn sich ihm die Chance geboten hätte, nach London zu gehen, nach London mit seinen exklusiven Nachtclubs und dem ganzen verruchten Lebensstil, der den Privilegierten offenstand. Trinken, spielen, mit hübschen Frauen flirten, welche die Spielregeln kannten – das alles war viel mehr nach seinem Geschmack als diese langweiligen Treffen mit Angehörigen des örtlichen Parteiausschusses der Konservativen.
Vielleicht konnte er seine Großmutter überreden, ihn als liebevollen älteren Cousin hin und wieder nach London fahren zu lassen, um pflichtbewusst ein Auge auf Amber zu haben.
2
Kritisch begutachtete Blanche Pickford ihre Enkeltochter. Mit siebzehn zeigte Amber Anlagen, eine wahre Schönheit zu werden. Sie war zwar nur durchschnittlich groß, aber sie war schlank und hatte zarte Knochen, einen eleganten Hals und eine Haut wie aus Porzellan. Ihr Gesicht würde, sobald es die letzte Rundlichkeit der Kindheit verloren hatte, vollkommen herzförmig sein, mit weit auseinanderstehenden Augen und dichten Wimpern.
Blanche war nicht erfreut gewesen, als ihre Tochter – zweifellos unter dem Einfluss ihres Mannes – verkündet hatte, man werde das Kind Amber taufen, denn das empfand Blanche als viel zu exotisch. Es war Familientradition, den Töchtern Namen von Farben zu geben, Farben von Seidenstoffen. Doch man konnte nicht leugnen, dass Ambers Augen in der Tat von der honiggoldenen Farbe des kostbaren Bernsteinharzes waren.
Mit ihrer geraden Nase, den geschwungenen Lippen und den blonden Locken sah sie fast genauso aus wie sie selbst, als sie in Ambers Alter gewesen war, doch bis dato zeigte ihre Enkeltochter keine Spur der
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