Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
schwelenden Sinnlichkeit, von der Blanche mit siebzehn erfüllt gewesen war – und auch kein Gespür für die Macht, die in einer solchen Gabe lag. Vom Temperament her war Amber freundlich und sanft – schwach , wo ich doch immer so stark war, dachte Blanche kritisch. In ihr war kein Feuer, keine Leidenschaft, aber das machte nichts. Eine Ehe, wie sie sie für ihre Enkelin im Sinn hatte, beruhte nicht auf Leidenschaft und Sinnlichkeit. Ganz im Gegenteil.
Im Gegensatz zu seiner Mutter besaß das Mädchen wenigstens gutes Aussehen. Blanche war außer sich gewesen, als ihr klar geworden war, wie reizlos ihre Tochter werden würde – ganz Henry Pickfords Tochter mit ihrer Anhänglichkeit an die Fabrik und ihrem Interesse für die Arbeiterbewegung. Doch diese Wut war nichts gewesen im Vergleich zu dem Zorn, den sie empfunden hatte, als die unscheinbare Fünfundzwanzigjährige, von der Blanche angenommen hatte, sie würde eine alte Jungfer werden, sich ihr widersetzt hatte und mit dem kleinen Erbe von ihrem Vater einen russischen Emigranten geheiratet hatte. Nicht dass das Geld besonders weit gereicht hätte. Am Ende war ihre Tochter – wie sie es vorhergesehen hatte – bettelnd zu ihr gekommen.
Ja, alles in allem war sie nicht unzufrieden mit dem Rohmaterial, mit dem sie es hier zu tun hatte. Das Aussehen des Mädchens würde ihr sicher zum Vorteil gereichen, doch es war Blanches Vermögen, das der Familie den Titel bringen sollte, nach dem Blanche sich verzehrte.
»Setz dich, Amber«, wies Blanche ihre Enkelin an. »Wir müssen etwas Wichtiges besprechen.«
Amber konnte sich nicht erinnern, ihre Großmutter je in einem seidenen Kleidungsstück gesehen zu haben. Sie bevorzugte die französische Modeschöpferin Chanel, und heute trug sie eines ihrer typischen Jerseykleider, dessen Oberteil geschickt in Falten gelegt und an der Hüfte mit einer großen, mit Kristallen besetzten Brosche gerafft war, die bei jeder Bewegung das Licht einfing.
Ihre Großmutter war schlank und hielt sich aufrecht, sie hatte die richtige Figur für solche Kleider. Amber hatte ihre Schlankheit geerbt, obwohl ihre Figur unter den schulmädchenhaften Linien ihres wollenen Trägerkleids verborgen war, das sie über einer schlichten Bluse trug. Unter dieser Bluse klopfte Ambers Herz ängstlich. Was Greg ihr erzählt hatte, konnte doch unmöglich wahr sein?
Sie sah ihre Großmutter an und wartete bange. Blanche trug wie immer ihre Perlen, drei lange Ketten, deren Glanz einiges mehr an Wärme besaß als die Frau, um deren Hals sie lagen.
»Ich habe dir versprochen, dass du an deinem siebzehnten Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk bekommst. Dieses Geschenk betrifft deine Zukunft, Amber. Du bist eine sehr privilegierte junge Frau, ich hoffe, dessen bist du dir bewusst. Als meine Enkeltochter hast du Möglichkeiten, die für viele junge Frauen deines Alters und in deiner Stellung unerreichbar sind, und während du diese Vorteile genießt, möchte ich, dass du nicht vergisst, warum sie dir gewährt wurden und welche Verantwortung du ihnen und mir gegenüber hast. Also«, Blanche erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns, »im Januar reist du nach London, um dich auf deine Vorstellung bei Hofe vorzubereiten. Ich habe Vorkehrungen getroffen …«
Dann stimmte es also. Greg hatte recht gehabt. Amber wurde übel vor Verzweiflung.
»Nein«, protestierte sie wütend. »Nein, ich will nicht bei Hofe vorgestellt werden. Ich will auf die Kunstakademie gehen.«
Blanche sah ihre Enkelin entgeistert an. Ihre Eltern hatten mit ihrem lästigen und wertlosen Gerede über Kunst und Design mehr Schaden angerichtet, als sie geahnt hatte. Daran war allein der Russe schuld. Offenbar hatte er seiner Tochter allerhand Narreteien in den Kopf gesetzt, doch die würde Blanche ihr schon austreiben.
Amber war siebzehn und sehnte sich nach einem Leben, über das sie nicht das Geringste wusste – mit siebenunddreißig würde sie ihrer Großmutter danken, dass sie sie davor bewahrt hatte. Allein der Gedanke, die Schufterei, die es bedeutete, einen eigenen Weg zu gehen, mit dem Status und der Behaglichkeit vergleichen zu wollen, die Amber genießen konnte, wenn sie tat, was man ihr sagte, war lächerlich.
Nicht dass es eine Rolle spielte, was Amber dachte oder wie sehr sie protestierte. Blanche würde durchsetzen, was sie beschlossen hatte.
»Kunstakademie?«
Amber wurde von Blanches eisernem Blick förmlich in ihrem unbequemen Sessel festgenagelt, in dem
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