Der Glanz der Welt
verpassen. Das mit dem Jenseits ist mir zu ungewiss.“
Ludwig atmete hörbar durch: „Ich helfe dir nur, weil ich noch immer hoffe, dass du eines Tages den Weg zurück in den Schoß von Mutter Kirche findest. Außerdem kann esnicht schaden, dem Jüngsten Gericht schon auf Erden ein bisserl vorzugreifen. Dann muss der liebe Gott dereinst nicht so viel machen.“
„Du sprichst also mit Herrn Schefredaktör.“
„Ja, damit ich eine Ruh’ hab vor dir. Aber wenn wieder so viele Inserate ausfallen …“
Ich fiel Ludwig ins Wort: „Inserate, Inserate. Hier geht es um die Wahrheit. Inserate sind das glatte Gegenteil von Wahrheit, und sie bewirken auch das Gegenteil.“
„Man könnte meinen, du warst bei den Jesuiten in der Schule“, stöhnte il cardinale .
„Ich danke dir mordsmäßig“, sagte ich.
„Gehe in Frieden.“ Ludwig klang erleichtert. Er war mich für eine Weile los und hatte wieder eine kleine Stufe in Richtung Paradies gemeistert.
Dann klopfte ich noch schnell eine SMS an Schefredaktör ins Handy: „Halte die Seite frei. Ludwig locuta, causa finita. Päpstliche Weisung folgt. Gruß und Kuss! Dein Adlerauge.“
Sehr zufrieden ging ich zurück ins Giacomos, wo mich drei Augenpaare neugierig anstarrten.
„Jetzt warst du aber lange weg“, sagte Himmel.
„Die Verbindung war schlecht, musste mehrmals anrufen“, log ich. Es war eine Notlüge. Ich wollte nicht vorab verraten, was ich vorhatte.
Während ich draußen telefonieren war, hatten sie eine Flasche Barbaresco bestellt und öffnen lassen. Ich betrachtete das Etikett: „1990 ist ein erstklassiger Jahrgang. Aber vom Gaja?“
„Hast du was gegen Gaja?“, fragte Goutzimsky.
„Ja“, sagte ich, „zu viel Holz. Der Wein bleibt auf immer und ewig untrinkbar.“
Alle schnupperten an ihrem Glas, wir prosteten einander zu und nahmen einen Schluck.
„Da hast recht“, sagte Himmel, „der ist noch immer nicht reif.“ Goutzimsky schien unsicher und nahm noch einen Schluck: „Da kann man streiten. Ist eine Geschmackssache. Der Mann versteht was vom Weinmachen.“ Auch wir anderen probierten nochmals.
„Ja“, sagte ich, „aber nichts vom Trinken. Ich bin doch kein Holzwurm.“
„Ein wenig unvorsichtig ist er wirklich, zu viel neues Holz, das erdrückt den Wein“, sprang Himmel mir bei.
Jetzt, nach dem zweiten Schluck, nickten alle zustimmend. Ich trank mein Glas aus. Als Pirchmoser mir nachschenken wollte, wehrte ich ab: „Mir nichts mehr, danke. Ich muss gehen. Habe noch etwas zu erledigen. Macht es gut!“
Ich verließ mit zügigen Schritten das Giacomos. Es war Zeit, nach Hause zu kommen. Der Kommentar schrieb sich nicht von selbst. Außerdem ließ ich meine Ergüsse gern eine Nacht liegen, sozusagen nachreifen wie einen Wein, um sie einen Tag nach der Niederschrift nochmals zu korrigieren. Man hatte dann mehr Abstand, konnte Übertreibungen besser abmildern und gleichzeitig noch mehr Prägnanz und Biss in den Artikel bringen. Bei mir jedenfalls funktioniert das so.
Als ich langsam nach Hause schlenderte, die kühle Abendluft genießerisch einsog, piepste mein Handy, um mir zu signalisieren, dass eine neue SMS eingelangt sei. Ich fingerte das Handy aus meiner Hosentasche. Der Schefredaktör. Das war schnell gegangen. Den Seinen gibt’s der Herr noch vor dem Schlaf.
Drei Versuche, das richtige Knöpferl zu drücken, die Handys sind alle für Kleinkinder gebaut, drei Mal daneben, noch ein Versuch, geschafft. Die SMS wurde angezeigt: „Seite für übermorgen reserviert. Abliefern bis morgen Mittag. Habe die Ehre und scher dich zum Teufel. Schefredaktör.“ Er wusste, dass wir alle seinen Titel verhunzten. Also machte er gute Miene zum bösen Spiel. „If you can’t beat them, join them.“ Dass er mich lieber beim Teufel sah als beim Kardinal, konnte ich verstehen. Ich verzieh ihm wie immer.
Michele, an die Arbeit. Man hackt den Artikel rein. Sieht nicht nach links, nicht nach rechts. Schaut, ob alle Namen richtig geschrieben sind. Dann hat man auf einmal 9.000 Zeichen. Dürfen aber nur 7.000 sein, Bild soll auch noch Platz haben oder eine Karikatur. Sie schnipseln den Platz immer beim Text weg. Die Bilder breiten sich aus. Eine ganze Seite Kommentar heißt in Wahrheit: eine halbe Seite Kommentar. Du streichst wie ein Wilder, verknappst die Sätze mitsamt der Argumentation. Den Rest erledigt der Redakteur. Im wahrsten Sinn des Wortes mitunter – dank geschickter Straffung wird mancher Kommentar völlig sinnfrei. Oder
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