Der Glanz der Welt
Pirchmoser schnupperte am Glas.
„Weiß nicht recht“, sagte er, „ein wenig hart im Geruch.“
„Zu viel Holz?“, fragte Himmel.
„Der Wein ist zwanzig Jahre alt, da sollten das Holz und die Tannine längst eingebunden und abgerundet sein.“ Pirchmoser schnüffelte nochmals ein wenig ratlos am Wein. Er nahm die Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett.
„Bist du wahnsinnig!?“ Er war verwundert,. „14,5 Prozent Alkohol. Die spinnen.“
„Ich habe große Brunello getrunken, die hatten zwölfeinhalb“, sagte ich.
„Eben!“, bekräftigte Pirchmoser, „zu viel Holz, zu viel Alkohol. Das merke ich schon an der Nase.“
„Probier ihn doch zuerst“, sagte Himmel.
„Ich täusche mich nicht“, war Pirchmoser seiner Sache sicher und nahm einen Schluck, „der ist nicht reif, der wird nicht mehr reif, niemals. Irgendwann kippt er und ist vorbei.“
„Der hat Höchstnoten in allen italienischen Weinführern“, sagte Goutzimsky, der sich unbemerkt zu unserem kleinen Grüppchen gesellt hatte.
„Jo mei“, sagte Pirchmoser, der plötzlich und nur für einen kurzen Moment in die Tiroler Mundart zurückfiel, „khupft wia gsprunga, also: egal, man kann es ohnedies nicht mehr ändern.“ Schaudernd nahm er einen kräftigen Schluck.
Die letzten Gäste verabschiedeten sich, der lange Tisch war voller Gläser und leerer Teller, die Leute vom Giacomos kamen mit dem Abräumen nicht nach.
„Hat Giuseppe nicht genug Leute eingeteilt?“, fragte Himmel.
„Eingeteilt schon, aber gekommen sind nicht alle“, verteidigte Goutzimsky den Patron. Er blickte auf seine Uhr.
„Zeit für unseren Überraschungsgast. Muss jeden Moment kommen“, sagte er und winkte Giuseppe herbei: „Kannst du uns die Flaschen, die ich dir gestern schon gebracht habe, herrichten? Wir wechseln zum kleinen Tisch hinten, zur Nummer fünf“, sagte Goutzimsky.
„Cinque“, sagte Giuseppe, „ist in Ordnung.“
„Und kannst du uns zwei Flaschen aufmachen und in einen Dekanter umfüllen lassen? Den Riserva, nicht den normalen.“
„Zwei Riserva umleeren“, nickte Giuseppe, „das sind die Mascarello-Weine, è giusto?“
„Ja, stimmt. Danke dir!“, lächelte Goutzimsky entspannt. Der Gast konnte kommen.
Goethes Schweigen und blinde Liebe
Wir waren nach hinten zum Tisch Nummer fünf gegangen und hatten Platz genommen. Ich saß mit Blick auf die Eingangstür. Auf das achtete ich immer, nicht um flüchten zu können, sondern weil Türen in meinem Rücken mich nervös machen.
Goutzimsky blickte unruhig erneut auf seine Uhr, während Giuseppe sich selbst an den beiden Flaschen mit der Riserva zu schaffen machte.
Er öffnete sie behutsam und leerte sie nacheinander in einen großen Dekanter, sehr vorsichtig, mit langsamem Strahl. Er hatte eine ruhige Hand und ein gutes Auge, stoppte rechtzeitig den Fluss des Weines, sodass nichts vom Bodensatz in den Dekanter geriet.
Es gibt Leute, die leeren einen Brunello schon sechs Stunden vor dem Trinken um, manche begnügen sich damit, ein oder zwei Stunden vorher den Stoppel zu entfernen. Andere waren der Ansicht, es genüge, dem Wein eine Viertelstunde Entfaltung im Glas zu gönnen, ihn dabei immer wieder ein wenig zu verschwenken, damit er vom Sauerstoff durchlüftet wird. Das waren jene Glaubensfragen, die das Weintrinken amüsant machten, solange man sie – wie die meisten Glaubensfragen – nicht allzu ernst nahm.
Giuseppe platzierte den großen Dekanter mitten auf unserem Tisch, stellte die leeren Flaschen daneben hin und legte die beiden Stoppeln auf einem kleinen Teller bereit. Himmel nahm einen der Stoppeln und schnupperte daran.
„Sehr frisch, sehr sauber“, kommentierte er zufrieden.
In diesem Moment ging die Tür auf, beim Eingang war es ein wenig dunkel, man konnte nicht gleich erkennen, wer hereinkam. Die Umrisse und die Bewegungen signalisierten, dass eine Frau das Lokal betreten hatte. Goutzimsky sprang auf und lief der Gestalt entgegen. Ich sah nichts mehr, weil er zwischen uns und ihr stand. Er half der Dame aus dem Mantel. Giuseppe scharwenzelte um sie herum, verstellte nun ebenfalls den Blick; er winkte einen der Kellner herbei, damit dieser Goutzimsky den Mantel abnahm. Er umarmte die Frau, man konnte sie noch immer nicht richtig sehen, und ein lautes „Chiarella, bellissima“ ertönte aus Giuseppes Mund. Dann kamen die beiden Herren zu unserem Tisch, voran Giuseppe mit der jungen Dame im Schlepptau und dahinter der Kommerzialrat.
„Chiara Mascarello,
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