Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
Vom Netzwerk:
ich, „aber im konkreten Fall. Die waren beide Mitglied im ,Verein gegen das Regietheater‘. Ein Club von frustrierten Schauspielern, die kein Engagement mehr bekommen.“
    „Und warum nicht?“, fragte Pirchmoser.
    „Sie bilden sich ein, weil sie gegen das Regietheater sind.“
    „Na ja“, sagte Pirchmoser, „Rettung brauchen wir da keine mehr holen. Das ist ein klarer Fall. Ich hole die Spezialisten für Tötungsdelikte.“
    „Ist das nicht ohnedies dein Fall, wenn du schon den Bein umgehängt bekommen hast?“
    „Was hat das damit zu tun?“
    „Das liegt doch auf der Hand“, sagte ich, „beide vom selben Verein, selber Beruf, offenbar Mord.“
    „Mord steht noch nicht fest. Das wird man erst klären müssen“, sagte Pirchmoser. Per Handy forderte er die Spurensicherung an.
    „Brauchst du uns noch?“, frage ich.
    „Nein“, er war grantig, „ihr könnt gehen. Lasst mich ruhig hier mitten in der Nacht allein mit einer Leiche stehen. Ich bin immer auf dem Posten. Die Verbrecher schließlich auch.Die laufen nicht weg, nein, die werden immer mehr. Das heißt dann Globalisierung. Die ganze Welt ist heutzutage Unterwelt. Man ist umstellt. Alle Welt verbricht, und die unsichtbare Hand des Kriminologen soll es wieder gutmachen. Blöderweise legen die Politiker und Staatsanwälte genau diesen Händen Fesseln an, während sie die Verbrecher laufen lassen. Verschwindet endlich, bevor ich es mir anders überlege.“
    Pirchmoser hatte wirklich üble Laune. Er sah sich in einen langwierigen Mordfall verwickelt, monatelang würde er keine Zeit haben, um Grapschmann und Schnittling zu jagen. Dass die beiden Morde womöglich zusammengehörten und nichts mit Schnittling zu tun hatten, gefiel ihm gar nicht.
    „Ciao nochmals“, sagte Chiara, drückte sich eng an mich, und wir gingen in die schon vorher eingeschlagene Richtung weiter. Im Abgehen winkte ich Pirchmoser noch mit meiner freien Hand zu.
    „Ich habe noch kleinen Hunger“, sagte Chiara, „am Weg kommen wir bei einem Würstelstand vorbei.“
    „Ja“, sagte ich, „den kenne ich, ein sehr guter, wirklich empfehlenswert.“
    Wir steuerten den Würstelstand an und bestellten Frankfurter, einmal mit süßem, einmal mit scharfem Senf, und eine Portion extrascharfe Pfefferoni. Leichter Wind kam auf. Die Kälte zog an. Chiara tauchte ihr Würstel in meinen Senf. Das konnte ich auch – und tauchte das meine in den ihren. Von den Pfefferoni bekam ich nur einen kleinen Bissen ab.
    „Das Hotel ist gleich da drüben, auf der anderen Seite des Platzes“, sagte Chiara und deutete hinüber. Das war zu nah, um ihr noch näher zu kommen.
    „Ich ruf dich an“, sagte sie und hielt mir die Hand hin. Ich suchte meine Visitenkarten und gab ihr eine.
    „Du lernst schnell“, lachte sie. Mein Kopf, der Rausch meldete sich wieder.
    Ich ruf dich an. Soll sein. Hoffentlich bald.
    Ich brachte sie über die Straße zum Hoteleingang. Sie verschwand in der dunklen Öffnung. Ich hörte noch „ciao“, und weg war sie. Nicht ohne mich vorher noch herzhaft zu küssen.
    Die Nacht umfing mich. Links hinten torkelten einige Betrunkene über den Platz. Offenbar Italiener. Sangesfreudige Italiener:
    One morning I woke up,
    O bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao …
    Wahrscheinlich doch keine Italiener, vielleicht Briten.
    Ich ruf dich an. Nebelfeucht war die Nacht. In meinem Herzen ein leichter Schimmer.
    Was heißt schon: Leben?
    Das Leben ist einfach.
    Das Leben ist kompliziert.
    Aber mich fragt ja keiner.
    Left shoe shuffle, right shoe muffle.
    Der Tänzer in mir kennt die Fragen.
    Blöd, dass ausgerechnet die Antworten so gut versteckt sind.
    Ein Abend gar schön und Herr über die Wolken.
    Left shoe shuffle, right shoe muffle.
    Bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao.
    Die Neonlichter versinken im Nebel, die Stadt geht schlafen. Nur die Engländer sind noch wach und grölen ein paar Revolutionslieder in die Nacht.
    Bella Ciao!

6. KAPITEL | Bretter, die die Welt bedeuten
    In gewisser Weise war das Giacomos eine große Theaterbühne, wenn auch keine perfekte. So fehlte zum Beispiel der schützende Vorhang, den ein reaktionsschneller Inspizient herunterlassen konnte, sobald ein Darsteller etwa tot umfallend aus der Rolle fiel. Oder seinen Text so weit vergessen hatte, dass zwar selbst schwerhörige Zuschauer in der letzten Reihe die bereits brüllende Souffleuse hörten konnten, der Schauspieler aber noch immer ratlos auf der Bühne herumirrte und den

Weitere Kostenlose Bücher