Der Glanz des Mondes
vermeinte zu hören, wie sich die Wachtposten leise unterhielten - vielleicht war es das, was mich geweckt hatte.
Ich lag da und lauschte eine Weile. Der Tag brach an und im Zimmer wurde es langsam hell. Ich entschied, dass das Geräusch wohl doch nichts Ungewöhnliches gewesen war, und beschloss auf den Abtritt zu gehen, dann würde ich versuchen noch ein oder zwei Stunden zu schlafen. Leise stand ich auf, lief die Treppe hinunter, schob die Tür auf und trat ins Freie.
Ich mühte mich nicht, das Geräusch meiner Schritte zu unterdrücken, doch als der Nachtigallenboden zu singen begann, wurde mir augenblicklich klar, was ich gehört hatte: einen leichten Tritt auf den Dielen. Jemand hatte versucht ins Haus einzudringen und war vom Nachtigallenboden abgehalten worden. Aber wo befand er sich jetzt?
Ich sollte Kenji wecken, sollte zumindest eine Waffe holen, schoss es mir gerade durch den Kopf, als Kotaro, der Kikutameister, aus dem nebelverhangenen Garten trat und plötzlich vor mir stand.
Bis zu diesem Morgen hatte ich ihn nur in seinen ausgebleichten blauen Gewändern gesehen, mit denen er sich auf Reisen tarnte. Nun aber trug er die dunkle Kampfkleidung des Stamms, und seine ganze Macht, die er sonst immer verbarg, spiegelte sich in seiner Körpersprache und seinem Gesichtsausdruck, die personifizierte Feindseligkeit des Stamms gegen mich, erfahren, gnadenlos, unerbittlich.
»Ich denke, du hast dein Leben bei mir verwirkt«, sagte er.
»Du hast mich verraten, indem du Akio den Befehl gabst, mich zu töten«, sagte ich. »Damals wurden all unsere Abmachungen null und nichtig. Und du hattest keinerlei Recht irgendetwas von mir zu verlangen, schließlich hast du mir verschwiegen, dass du es warst, der meinen Vater tötete.«
Er lächelte verächtlich. »Es stimmt, ich habe Isamu tatsächlich getötet«, sagte er. »Inzwischen weiß ich, was auch ihn zum Ungehorsam trieb: das Otoriblut, das in euch beiden fließt.« Er griff in seine Jacke und ich wich schnell zurück, um dem Messer zu entgehen, das ich erwartete, doch was er mir hinhielt, war ein kleines Stöckchen. »Das Los fiel auf mich«, sagte er, »und ich gehorchte den Befehlen des Stamms, obwohl Isamu und ich Cousins und Freunde waren und obwohl er sich weigerte, sich zu verteidigen. Das ist wahrer Gehorsam.«
Kotaros Augen fixierten mich und ich wusste, dass er hoffte mich mit dem Kikutaschlaf zu verwirren, doch ich war mir sicher, ihm standhalten zu können, obwohl ich bestimmt nicht mehr fähig sein würde, ihn selber einzuschläfern, wie es mir damals das eine Mal in Matsue gelungen war.
»Du hast ihn ermordet«, sagte ich. »Und auch zu Shigerus Tod hast du beigetragen. Und wozu musste auch Yuki sterben?«
Er stieß ein wütendes Zischen aus, wie ich es schon von früher kannte, warf mit einer blitzschnellen Bewegung das Stöckchen zu Boden und zog ein Messer. Mit einem lauten Aufschrei sprang ich zur Seite. Ich machte mir keine Illusionen über meine Chancen, allein und unbewaffnet mit ihm fertig zu werden.
Er sprang mir nach, täuschte an und machte, schneller als mein Auge folgen konnte, einen Ausfall in die entgegengesetzte Richtung, um mich in den Würgegriff zu nehmen; doch ich hatte es vorausgesehen, entschlüpfte seinem Umklammerungsversuch und versetzte ihm von hinten einen Tritt, der ihn über den Nieren traf; ich hörte, wie er aufstöhnte. Dann sprang ich auf ihn und schlug ihn mit der rechten Hand ins Genick.
Das Messer schoss nach oben und ich spürte, wie es tief in die Seite meiner rechten Hand einschnitt, den kleinen und den Ringfinger abtrennte und sich in den Handteller bohrte. Es war meine erste richtige Verletzung und der Schmerz war entsetzlich, schlimmer als alles, was ich bislang durchgemacht hatte. Einen Moment lang wurde ich unsichtbar, doch mein Blut, das auf den Nachtigallenboden spritzte, verriet mich. Wieder brüllte ich auf, rief nach Kenji, nach den Wachen, und teilte mich. Mein zweites Ich rollte sich über den Boden, während ich versuchte Kotaro meine linke Hand in die Augen zu rammen.
Er riss blitzschnell den Kopf zur Seite, um dem Schlag auszuweichen, und ich trat gegen seine Hand, die das Messer hielt. Er sprang mit unglaublicher Geschwindigkeit zurück und schien im nächsten Moment auf meinen Kopf zuzufliegen. Ich duckte mich gerade noch, um seinem Tritt auszuweichen, und sprang in die Luft, als er landete, die ganze Zeit gegen den Schock und die Schmerzen ankämpfend, in dem Wissen, dass ich sterben
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