Der Glanz des Mondes
in den Fluss.
Mein Pferd wich panisch zurück. Es bäumte sich auf und flüchtete von der Brücke, mich seitlich abwerfend, so dass ich auf die Straße geschleudert wurde. Als ich atemlos wieder auf die Beine kam, stöhnte die Brücke mit einem fast menschlichen Laut auf. Sie ächzte in ihrem Bemühen standzuhalten, dann brach sie auseinander und riss alle mit sich hinab in den Fluss. Schließlich begann auch das Wasser selbst verrückt zu spielen. Vom Zusammenfluss weiter stromaufwärts ergoss sich eine gelbbraune Flutwelle, schwappte auf der Stadtseite vom Ufer zurück, riss Boote, Menschen und Tiere gleichermaßen mit und überrollte das gegenüberliegende Ufer, wo sie die Überbleibsel zweier Armeen fortschwemmte, Boote zerbersten ließ wie Essstäbchen, Männer und Pferde ertränkte und ihre leblosen Körper ins Meer hinausspülte.
Wieder bebte der Boden heftig und irgendwo hinter mir hörte ich das Krachen einstürzender Häuser. Ich fühlte mich wie betäubt: Um mich herum war alles staubverhangen und die Geräusche waren gedämpft, so dass ich die weiter entfernten nicht mehr wahrnahm. Ich bemerkte Kenji an meiner Seite und Taku kniete neben seinem Bruder, der ebenfalls gestürzt war, als das Pferd sich aufgebäumt hatte. Durch den Dunst sah ich Fumio auf mich zukommen, die Feuerwaffe immer noch in seiner Hand.
Eine Vielzahl von Gefühlen, nahezu Enthusiasmus, schüttelte mich: die Erkenntnis, wie schwach wir Menschen doch sind, wenn wir den großen Naturgewalten begegnen, vermischt mit Dankbarkeit dem Himmel gegenüber, den Göttern, an die ich, wie ich dachte, nicht mehr geglaubt hatte und die mein Leben ein weiteres Mal gerettet hatten.
Meine letzte Schlacht hatte begonnen und war im selben Moment bereits beendet. Es gab keinen weiteren Gedanken an Kampf. Unsere einzige Sorge war, die Stadt vor den Flammen zu retten.
Der größte Teil des Viertels rings um das Schloss brannte bis auf die Grundmauern nieder. Das Schloss selbst wurde durch eines der Nachbeben zerstört, wobei die Frauen und Kinder, die wir dort festgehalten hatten, umkamen. Ich war erleichtert, weil ich wusste, dass ich ihr Leben nicht hätte schonen können, jedoch davor zurückgeschreckt war, sie töten zu lassen. Auch Ryoma starb; sein Boot wurde von herabstürzendem Mauerwerk getroffen und sank. Als sein Körper Tage später an Land gespült wurde, ließ ich ihn zusammen mit den Otorilords in Daishoin beerdigen - mit ihrem Namen auf seinem Grabstein.
In den nächsten Tagen schlief und aß ich kaum. Mit Miyoshis und Kenjis Hilfe sorgte ich dafür, dass die Überlebenden den Schutt wegräumten, die Toten begruben und sich um die Verletzten kümmerten. Durch die langen, kummervollen Tage der gemeinsamen Arbeit und Trauer begannen die Risse des Clans sich zu schließen. Das Erdbeben wurde von allen als Strafe des Himmels für Arais Verrat angesehen. Mich hingegen schien der Himmel eindeutig zu begünstigen, ich war Shigerus Adoptivsohn und blutsverwandter Neffe, ich besaß sein Schwert, ich sah ihm ähnlich und hatte seinen Tod gerächt: Der Clan akzeptierte mich jetzt uneingeschränkt als seinen wahren Erben. Ich wusste nichts darüber, wie die Lage in den anderen Gebieten war; die Erdbeben hatten weite Teile der Drei Länder verwüstet und aus den anderen Städten erhielten wir keine Nachrichten. Das Einzige, was mich beschäftigte, war die anstehende enorme Aufgabe, Frieden zu schaffen und für den kommenden Winter alles zu tun, um eine Hungerkatastrophe zu verhindern.
In der Nacht nach dem Beben schlief ich nicht in Shigerus Haus und auch an den Tagen danach nicht. Ich hätte es nicht ertragen, hinzugehen und möglicherweise festzustellen, dass es zerstört worden war. Zusammen mit Miyoshi lagerte ich in den Ruinen, die von seiner Residenz geblieben waren. Aber etwa vier Tage nach dem Erdbeben kam Kenji eines Abends, nachdem ich gerade gegessen hatte, zu mir und berichtete, dass jemand da sei, der mich zu sehen wünschte. Er grinste und einen Moment lang dachte ich, dass es vielleicht Shizuka war, mit einer Nachricht von Kaede.
Doch es waren die beiden Dienerinnen aus Shigerus Haus, Chiyo und Haruka. Sie wirkten erschöpft und angegriffen, und als sie mich sahen, fürchtete ich fast, dass Chiyo sterben könnte, so sehr überwältigte sie die Rührung. Beide warfen sich mir zu Füßen, aber ich ließ sie sich erheben und schloss Chiyo in die Arme, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Keiner von uns brachte ein Wort
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