Der Glanzrappe
konnten.
»Jeder kann getötet werden«, sagte er und wartete darauf, daß sie weitersprach, aber das Mädchen namens Rachel war nun verstört und verwirrt, und so unmittelbar und eindrücklich ihre Umgebung auch war, wußte sie offenbar nicht, wo sie sich gerade befand. Abwehrend hob sie die Hand. Mehr konnte sie nicht tun. Er wartete ab, und langsam senkte sie die Hand wieder, sah ihn an und seufzte.
»Wir sind dahinten in dem Kuhstall«, sagte sie, und dann: »Du kannst von hier aus das Dach sehen. «
S ie deutete über das verwüstete Schlachtfeld, und er konnte ein Dach erkennen, das im gedämpften Sonnenlicht matt leuchtete.
Sie sagte, sie wolle, daß er das wußte.
Dann schaute sie in seine Richtung, den Blick aber ins Ungefähre gerichtet, so als würde sie einen Gedanken abwägen. Ein langes Schweigen legte sich zwischen sie, und keiner von ihnen verspürte den Drang, es aufzuheben.
Dann sagte sie, daß sie müde sei und sich ausruhen müsse, sie drehte sich um und ging fort.
AN DIESEM TAG kamen noch mehr Fledderer und noch mehr Verwandte und Bewohner der Stadt, und außerdem trafen auch noch Touristen mit dem Zug ein. Die Luft war knochentrocken an diesem Julitag, die Hitze lag erbarmungslos unter der stechenden Sonne, und schon bald nach ihrer Ankunft mußten sich die Leute übergeben, wurden ohnmächtig und sanken kotzend neben den Toten zu Boden.
Er lief zwischen ihnen umher, auf der einen Schulter trug er eine Schaufel, über die andere baumelten mehrere Feldflaschenriemen. Das hohle Scheppern der Blechflaschen erinnerte ihn an das, was er noch zu erledigen hatte. Den Revolver hatte er hinten in die Hose geschoben, so daß er durch den Rockschoß verdeckt war, und in seinen neuen Stiefeln hatte er ein Messer stecken. Er beobachtete die Leute, die wie Hunde auf allen vieren krochen und würgten, bis nichts mehr herauskam. Dann ging er weiter, Mitleid oder Bedauern empfand er kaum noch.
Als er einen alten Mann mit Sombrero und Poncho auf einem großen Dreirad sitzen sah, mitten in einem Kreis von Toten, die noch nicht bestattet waren, blieb er unvermittelt stehen.
»Suchen Sie jemand Bestimmtes?« fragte er.
»Gott sei Dank nicht«, antwortete der alte Herr. »Aber gib mir bitte eine Schaufel, dann helfe ich dir bei dieser schrecklichen Arbeit. Das ist schlimm und einfach schändlich. Hier gibt es niemanden, der die armen Kerle wenigstens mit ein bißchen Laub bedeckt.«
»Es gibt hier schon Leute, die Gräber ausheben«, beruhigte er den alten Mann. »Die kommen sicher gleich.«
Er hatte keine Geduld für den Gram des alten Mannes, gab ihm die Schaufel und ging weiter, besorgte sich bald ein neues Werkzeug. Auch er war einmal unschuldig gewesen. Auch er hatte einmal geglaubt.
Nun hatte er auf seinen Streifzügen einen zweiten Orientierungspunkt. Der erste war die Baumgruppe gewesen, wo sein sterbender Vater zu Füßen des Glanzrappen lag, und jetzt war da noch der Kuhstall mit dem matt leuchtenden Dach, in dem das Mädchen namens Rachel wohnte. Er stellte sich vor, wie sie dort drüben mit dem Mann und der Frau zusammen war. Er vertraute darauf, daß sie sich Wiedersehen würden, daß sich ihre Lebenswege aus Gründen gekreuzt hatten, die er noch nicht verstand. Der Gedanke schien ihm nicht verwunderlich. Er würde sie Wiedersehen, weil er sie schon einmal gesehen hatte.
Die unerbittliche Hitze machte es schwierig, Wasser für den Rappen und für die Männer auf dem Feld der Sterbenden zu finden. In der ersten Nacht war es ihm gelungen, ein wenig Regen in Gummidecken aufzufangen, aber jetzt war es zu lange trocken gewesen. Er wußte von einem Brunnen, dessen Besitzer die Kurbel abgeschraubt hatte und nur den Leuten Wasser gab, die ihm einen hohen Preis dafür zahlten. An diesem Morgen hatte er beschlossen, den Mann zu erschießen, wenn er die Kurbel nicht herausrückte. So heiß war es. So durstig waren die sterbenden Soldaten.
Als er zu dem Brunnen kam, stand dort bereits ein Feldgendarm, der dem Besitzer gerade die Kurbel abgenommen hatte. Er drehte sie in der Hand und drohte dem Besitzer mit Verhaftung. Er könne seinen eigenen Anspruch natürlich geltend machen, dann würde ihn die Regierung für die Wassernutzung entschädigen. Der Gendarm schraubte die Kurbel wieder an und stellte einen Wachposten neben dem Brunnen auf, während der Besitzer ins Haus ging, um die Formulare für den Erstattungsantrag auszufüllen. Robey war der erste, der seine Feldflaschen füllen durfte, und er
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