Der Glanzrappe
Vorhang vor dem neuen Tag aufgezogen worden.
»Wir müssen gehen«, sagte Robey und hatte den Revolver schon aus dem Gürtel gezogen. Er richtete die Waffe nicht auf den Mann, aber der Winkel, in dem er sie hielt, signalisierte seine Entschlossenheit, sie auch zu gebrauchen.
»Wer zum Teufel bist du?«
»Geht Sie nichts an«, gab er zurück. Er hätte dem Mann gern gesagt, wer er war und was er gesehen hatte, was er d urchlitten und verloren hatte, aber es gab keinen Grund, warum der oder irgend jemand anders ihn kennen sollte.
»Und du gehst mit?« sagte der Mann zu ihr, und seine Stimme verriet, wie unfaßbar dieser Gedanke für ihn war.
»Wir gehen«, sagte Robev.
»Ich werde sie finden«, sagte er, »das weißt du.«
»Das Land ist groß.«
»Nicht groß genug.«
»Kann sein.«
»Dann nimm das Pferd«, sagte der Mann zu ihr, als hätte ihn plötzlich Großmut übermannt.
»Ich will dein verdammtes Pferd nicht«, zischte sie zurück.
»Das ist nicht christlich«, sagte der Mann.
»Halt deinen verdammten Mund, du alte Pestbeule. «
S ie drückte sich die Hände auf die Ohren. Sie haßte ihn, wollte nicht hören, was er ihr sagte. »Du hast dich gegen mich versündigt«, schrie sie.
»Rachel«, schmeichelte er mit honigsüßer Stimme.
»Er hat Geld gestohlen und in seinem Gürtel versteckt«, sagte sie mit geschlossenen Augen, die Hände noch immer auf den Ohren. »Nimm ’ s ihm ab.«
»Wo ist es denn?« fragte Robey .
»Stell dich nicht so an«, antwortete sie. »Um den Bauch natürlich.«
»Ich werde dich finden«, sagte der Mann. »Du weißt, daß ich dich finden werde.«
»Halt dein Maul«, rief sie, und da wurde er mit einem Mal böse, denn ihm war klargeworden, daß seine Macht über sie schwand.
»Du wirst diesen Tag dein Leben lang bereuen«, sagte er. »Wenn ich dich finde, wird es dir leid tun, daß du mich so behandelt hast.«
»Und was hast du mir angetan?« gab sie zurück. »Womit habe ich das verdient? Du wirst dafür in der Hölle schmoren, nicht ich.«
Plötzlich ließ sich der Mann mit einer geübten Bewegung auf die Knie fallen. Er schloß die Augen und drückte die gefalteten Hände an die Brust, und seine geschürzten Lippen begannen zu pulsieren, als wäre sein stilles Gebet so aufwühlend, daß es ein Ventil nach außen brauchte. Dieser dramatische Auftritt ließ sie in ihrer Wut innehalten.
»Bitte vergib mir«, sagte er, und dann betete er laut, und es klang routiniert und leidenschaftlich, Gebete von den Sünden des Menschen und den Schwächen des Fleisches.
Sie sagte, er solle aufhören, er solle bitte aufhören auf sie einzureden, aber in dem Bemühen, den Bann über sie zu behalten, ereiferte er sich immer mehr.
»Hör auf«, schrie sie und trat nach ihm. »Der Teufel soll dich holen«, schrie sie, »ich hasse dich.«
Robey schaute dem Kampf zu, zwischen dem weinenden Mädchen, das zu entkommen suchte, und dem grausamen betenden Mann, der sie geschändet hatte. Er wußte, diese Szene hatte sich schon häufiger abgespielt, in Zelten, in Hütten, unter Baumkronen. Er ahnte die Vergangenheit, erkannte die Macht und die Verfluchungen des Mannes. Er spürte, wie sie das Mädchen zermürbten und dazu brachten, sich gegen sich selbst zu wenden, gegen die eigenen Wünsche, und zu vergessen, was er ihr angetan hatte.
Sie stampfte auf und schrie, er solle seinen betenden Mund halten und sich am besten umbringen wegen allem, was er angerichtet hatte in seinem Leben. Seine Worte flössen unbeirrt weiter, brachten sie zur Raserei. Er hörte einfach nicht auf, da konnte sie noch so viel schreien. Aus dem Stall ertönte Stöhnen. Die blinde Frau war aufgewacht und rief nach Hilfe.
»Sorg dafür, daß er endlich das Maul hält«, sagte Rachel zu Robey . »Mach ein Ende mit ihm. «
S ie griff nach dem Revolver in seiner Hand, aber er gab ihn nicht her. Er hatte dagestanden und zugesehen, wie der Mann sie schändete, und er hatte nichts getan, als er etwas hätte tun können. Nicht, daß er sich jetzt schuldig fühlte, weil er damals in dem ausgebrannten Haus nichts getan hatte. Damals war er noch anders gewesen. Damals war er noch ein Kind gewesen und hatte gedacht wie ein Kind. Er hatte Wut empfunden und Haß, aber er hatte gedacht, die Welt hätte eine Chance. Er hatte gedacht, alle hätten eine Chance. Irgendwo tief in seinem Innern ahnte er vielleicht bereits sein Schicksal, doch in jener Nacht in dem ausgebrannten Haus war die Zeit für ihn noch nicht reif gewesen, um
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