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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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die Vergangenheit zu verlassen und die Zukunft zu betreten, denn nur die Verdammten sehen ihre Zukunft und wissen nichts von ihrer Gegenwart.
    Egal. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Was bedeutete ein anderer Mensch wie dieser hier für ihn? Der betende Mann wollte, daß sie ihm vergab. Aber manchmal muß man erst Rache nehmen, ehe man vergeben kann. Er hörte das vertraute, entschlossene Klicken an seinem Oberschenkel, als er den Hahn des Revolvers spannte.
    Falls der betende Mann das Geräusch auch gehört hatte, verriet ihn seine Stimme jedenfalls nicht.
    Er hob die Hand, richtete den Lauf auf die Stirn des Betenden und wollte gerade abdrücken, als das Mädchen dazwischentrat. Mit beiden Händen wuchtete sie ein langstieliges Gerät über ihre rechte Schulter und ließ es dann nach unten sausen, rammte dem Mann die drei dünnen Zinken der Mistgabel mit aller Kraft in den Unterleib.
    Die Zinken drangen wie Vampirzähne in den Körper des Knienden ein, ein scharfes, gebogenes Blitzen, dem sich kein Knochen entgegenstellte. Sein Gebet verstummte, und er weitete vor brennendem Schmerz die Augen. Das Mädchen sprang hoch und drückte die Gabel mit ihrem Gewicht noch tiefer hinein, und dieser zweite Stoß ließ ihn den Schock überwinden und einen gellenden Schrei zum Himmel schicken.
    Robey ließ den Hahn zurückschnappen, steckte den Revolver in den Gürtel, packte Rachel an den Schultern und zog sie zurück. Sie wehrte sich, wollte ein drittes Mal auf die Gabel springen, sie noch tiefer in den Schoß des Mannes bohren.
    So viel Töten, so viel Gewalt. So viel Arglist und Täuschung. Er sah das alles. Er sah das Mädchen und den betenden Mann, und er sah sich selbst. Wie läßt sich erklären, daß Gewalt Gewalt auslöst? Ist das schon die Erklärung? Gewalt fordert Gewalt heraus. Das hier war keine vorchristliche Wiedergutmachung: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das hier war das Gesetz, bevor das Gesetz geschrieben wurde. Das hier war Rache und Rebellion gegen das Gesetz. Wie läßt sich erklären, daß man das n icht verstehen kann, daß man nicht verstehen kann, daß es Dinge gibt, die nicht zu verstehen sind?
    Letztlich gab es keine Antworten, das wußte er. Es gab keine Erleuchtung. Die Welt war Zufall, sie wurde uns nicht offenbart, sondern sie offenbarte uns unsere eigenen Gedankensplitter und unsere falsche Erinnerung und so uns selbst. Es gab weder Erkenntnis noch Weisheit. Wir haben nur etwas mehr gesehen, unser Unwissen ein wenig verringert. Die Sünde ließ sich nicht wegwaschen, und der Verstand heilt nicht, außer bei den Schuldigen und den Törichten. Unsere Bekenntnisse werden zu unserer Schwäche, unsere Weisheit zu unserer Eitelkeit, und beides zusammen zu unseren bösen Phantasien. Er schaute auf den betenden Mann und wußte nun eines: Wir haben uns selbst zu Auserwählten erwählt.
    Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters, und er vergegenwärtigte sich das Mädchen, wie sie sich aus seinem Griff zu befreien versuchte, um noch einmal an die Mistgabel zu kommen. Er fürchtete, sie würde nie mehr zurückkehren von dort, wo sie sich jetzt befand. Er hatte gedacht, daß sie vielleicht eine andere Sicht der Welt hatte als er, der überhaupt keine mehr hatte, jedenfalls nicht daß er wüßte, und vielleicht würde sie auch einen Weg zurück für ihn bedeuten, aber das wußte er jetzt auch nicht mehr. Er wußte im Moment nur: Er konnte nicht zulassen, daß sie diesen Mann noch mehr tötete, als sie es schon getan hatte. Als er sie festhielt, hielt er das Leben in seinen Händen, sein eigenes Leben.
    Er sah hinab auf den Mann, der immer noch aussah, als würde er mit flehend erhobenen Händen beten, den Mund weit offen und Tränen auf dem verzerrten Gesicht.
    Um den überraschenden Schmerz zu bekämpfen, der in ihm brannte, war er bemüht, sich nicht zu bewegen, doch sein Körper konnte die Qual nicht ertragen und wollte die Ursache abschütteln, und der Griff der Mistgabel zitterte in der Luft, als er versuchte, den Fremdkörper abzustoßen.
    Robey zog das Mädchen von dem Mann weg, hinüber zu seinem Pferd. Er nahm ihren Fuß, schob ihn in den Steigbügel und hob sie mit beiden Händen in den Sattel. Dann ging er los, und der Hengst folgte ihm.
     
    SIE RITTEN AUF DEM GLANZRAPPEN nach Süden, ließen diesen Ort der Toten hinter sich. Sie hatte die Arme um seine Hüfte geschlungen, und er spürte ihren Körper an seinem Rücken. Als jemand sie verfolgte, klopfte sie mit den Fingerknöcheln an

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