Der Glanzrappe
seinen Kopf, und er drehte das Ohr zu ihren Lippen hin. Sie sagte, er solle in den Nebel hineinreiten, doch der Hengst wußte selbst, was zu tun war, und verschwand bereits in einer riesigen grauen Wolke, die sich auf die Erde herabgesenkt hatte.
Auf diesem Ritt zum Fluß war alle Zeit Gegenwart. Es gab keine Vergangenheit, und es gab keine Zukunft. Sie waren auf der Flucht und trieben den pechschwarzen Hengst voran wie fliehendes Rotwild. Gleich würden sie vom Boden abheben und am Horizont entlangreiten, dachte er. Vielleicht würden sie für immer weiterreiten, bis alles hinter ihnen lag, bis alles vorbei war.
Woran er sich noch erinnerte, war die Stille, die herrschte, als sie aufgebrochen waren, diese absolute Stille. Er spürte, der Krieg hatte diese Männer, die Blut darboten und Blut vergossen, nicht vernichtet, er hatte sie m it all seinem Schmutz und dem Schwarzpulver lediglich vorbereitet auf ihren unwiderruflichen, unwiederbringlichen Tod. Die Wunden waren schrecklich, wenn auch unterschiedlich. Manche Männer hatten noch ihr Gesicht, andere nur noch einen Teil oder ganz wenig davon, und am Ende waren da Männer ganz ohne Gesicht, und er fand es erstaunlich, wie wenig man einem Menschen noch antun kann, wenn ihm alles, was man ihm antun kann, schon angetan wurde.
Er hatte den Schrecken erlebt, der einen ruhig und furchtlos werden läßt, aber bei Rachel war etwas im Innersten zerbrochen, und er wußte nicht, ob es je wieder heilen würde. Über ihr Leben, über ihren Schrecken wußte er nichts.
Als sie davonritten, dämmerte rosig und grün der Morgen, und die Sonne ging auf wie ein rotglühender Ball. Kein Windhauch regte sich in der Wärme des Morgens, und als ob das noch nicht genug wäre, sahen sie Frauen und Kinder, die über toten Pferden Holz auftürmten und diese Scheiterhaufen in Brand setzten.
Die Tiere waren hier zusammengebrochen, ihre schweren Körper, die eleganten Nacken, die wohlgeformten Köpfe und die gewölbten Brustkörbe lagen auf dem Boden. Meile für Meile lagen tote Pferde herum, und manchmal war der Boden schwarz von Talg, wo schon ein Tier verbrannt worden war. Er erinnerte sich auch an die beiden Frauen, die in der offenen Tür gesessen hatten und Wasser verkauften und lachten, als wäre nichts geschehen, und er dachte, wie seltsam die Welt geworden ist! Er konnte es nicht verstehen, hätte es nicht einmal erzählen können, wenn ihn jemand danach gefragt hätte.
Tage später und viele Meilen weiter südlich verlor die vom Regen rein gewaschene Luft allmählich den Todesgeruch, und sie erreichten das Ufer des Potomac, wo sie sich unter die Soldaten mischten. Dicht hinter ihnen rückten die Unionstruppen an, tauchten vor den Wachposten in den Feldern und Wäldern auf, als wären sie gerade hinter ihnen beiden her. Die Befestigungsarbeiten waren bereits im Gang, und d ie Pioniere hatten die Pontonbrücke zur Überquerung des Flusses fast fertiggestellt. Es war, als hätte sich ein verlorenes Volk an den trostlosen Ufern eines alten Flusses versammelt. Er fand Moxle y und Yandell und auch Tom Allen. Sie waren bei der Batterie, von der sein Vater gesprochen hatte. Er sagte ihnen, daß er Robey Childs war, und sie erzählten ihm, daß sein Vater treu wie Gold gewesen war, und wann immer er gebraucht wurde, war er auf der Stelle da. Er sei der tapferste Mann gewesen, den sie je gekannt hatten.
Danach nannten sie ihn Captain, so wie sie den Vater genannt hatten, und in dieser Nacht schickte er einen Brief an seine Mutter, aber er brachte es nicht fertig, ihr von allem zu berichten, was er erlebt hatte.
Was Rachel betraf, sagte in der Batterie keiner ein Wort. Den Männern war nicht klar, was den Sohn ihres gefallenen Kameraden mit diesem Mädchen verband, das mit ihm ritt und sich als Junge ausgab, aber sie erlaubten sich kein Urteil und sprachen auch untereinander nicht darüber.
Hinter Gettysburg hatte es wieder heftig zu regnen begonnen, und grollender Donner erschütterte das Dunkel der Nacht. Eine Sintflut kam vom Himmel, und die grellen Blitze ließen alle für einen Moment erblinden. Sie saßen i m strömenden Regen, der ihnen aus den Ärmelaufschlägen rann, und warteten darauf, endlich den Fluß überqueren zu können.
Schließlich kamen die nassen und Sternenlosen Nächte des 13 . und 14 . Juli, und da beschlossen sie, über die Pontonbrücke zu fliehen. Die Vorräte waren fast vollständig aufgebraucht. Vor lauter Hunger suchten die Männer schon im Pferdedung nach
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