Der Glanzrappe
sitzen, und in den ersten Tagen seiner Reise machte er keine einzige Pause. Als er ins Tal kam, traf er auf Gras und Kleewiesen von üppigem Grün. Die roten Lehmwege waren breit und fest gestampft, die Böschungen trocken und befestigt.
Er ritt über Felder und Weiden, durch Sümpfe und Obstgärten. Durchquerte Feuchtwiesen, in denen der Grundwasserspiegel nur wenige Spatenstiche unter der Erdoberfläche lag und über die hohe, mit Pfosten markierte Knüppelwege hinwegführten. Er ritt über frisch gepflügte, geeggte und neu eingesäte Äcker, grün durchwirkt von sprießendem Weizen, Roggen und Hafer. Er traf auf Kieferndickichte, die so undurchdringlich waren, daß er tagelang daran entlangreiten mußte, ehe er einen Durchgang fand. Und das waren oft Stellen, wo der Wind die Bäume umgeworfen und die Sonne die knorrigen Äste gebleicht hatte und nur noch die Baumstümpfe standen.
Da Robey es eilig hatte, gönnte er sich anfangs keinen Schlaf und hielt sich mit aller Gewalt wach, bis er nicht mehr konnte und lernte, im Sattel zu schlafen, denn der Rappe schien mit ihm einer Meinung zu sein, was die Richtung betraf. Von da an zog er sich, wenn er müde wurde, einfach eine Decke über den Kopf, ließ das Kinn auf die schaukelnde Brust sinken und schlief, und der Hengst schlief ebenfalls ein und legte trotzdem, ohne seinen Lauf zu unterbrechen, pro Stunde vier Meilen zurück. Mal waren seine Hufe vor Staub und flirrender Hitze unsichtbar, mal wurde er von Wetterleuchten umzuckt, das Robey mit elektrischem Knistern den Weg durch die sternlose Nacht wies.
Tage und Nächte vergin gen; wie viele es waren, konnte er nicht sagen. Er hatte nicht gewußt, daß hinter den Schluchten noch so viel flaches und hügeliges Land liegen würde, so viele tiefe Bachbetten und undurchdringliche Heckenrosendickichte, so viele abrupt aufsteigende Berge. Zwar hatte auch er schon den Blick von einem Berggipfel in die Ferne geworfen, aber noch nie zuvor hatte er so weit ins Land geschaut, auf so grüne Wiesen, so saftige Weiden und so große Häuser.
Manchmal dachte er, eigentlich müßte er doch längst am Meer sein oder in einer der majestätischen Städte, von denen sein Vater immer erzählte. Eigentlich müßte er blitzblanke Eisenschienen überquert haben oder die von Bäumen gesäumten Boulevards entlangstreifen, die an großen Plätzen endeten, wo Behörden und Unternehmen ihren Sitz hatten. Sein Vater hatte ihm geschildert, wie groß und grenzenlos die Welt war, wie dicht und endlos die Wälder, wie steil die Anstiege und wie zerklüftet die felsigen Abhänge. Weiter im Westen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, war die Natur noch nicht fertig mit ihrer Arbeit. Da suchten die Flüsse noch nach ihren Betten, schwollen dabei zu gewaltigen Dimensionen an, wie riesige Seen, die entstanden und wieder verschwanden. Die Berge waren hoch, ihre Gipfel ragten bis in die Wolken. Da gab es Wüsten und Canyons. Es gab Bäume, deren Stämme s o dick waren, daß man sie nicht fällen konnte, an anderen Orten hingegen stand überhaupt kein Baum, so weit das Auge reichte. Westlich des Mississippi herrschte extremes, bösartiges Wetter, das wochenlang anhielt. Da war es entweder zu kalt oder zu heiß, und es gab entweder zu viel Wasser oder gar keines. Die Natur, das war: glitzernder Sand, windzerfurchtes und ausgebleichtes Gestein, überhängende Felswände, die den heranstürmenden Wind teilten. Da suchte die Nässe nach Trockenheit, der Wind nach den höchsten Bäumen, um sie niederzuwerfen, und die Blitze nach den flachsten Ebenen. Der Westen war das Bergwerk und der Steinbruch, der Garten und die Schmiede eines Schöpfers.
Anfangs sammelte er alles an Lebensmitteln und Waffen ein, was er vielleicht brauchen konnte, und er fand vieles. Doch dann ließ er das Horten und ritt weiter, nur mit Ölzeug, einer Decke, den geladenen Revolvern, einem Messer und einer Feldflasche ausgerüstet. Wenn er etwas zu essen brauchte, fand er immer irgendwo eine Handvoll gerösteten Mais, etwas Buttermilch, Ingwerkekse und ein Säckchen weiße Bohnen, und oft entdeckte er in den Überresten der bleifarbenen Armee-Planwagen so ungewöhnliche Kost wie Sardinen, eingelegten Hummer, Pfirsiche in Dosen und Kaffee. Früher hatte er gedacht, er würde lieber Hunger leiden als stehlen, doch das war, bevor er den Hunger kannte.
Nach einer gewissen Zeit lernte er, dem Duft von gebratenem Speck nachzugehen, oder er folgte den Wegen, auf denen frische Kuhfladen lagen. Wenn
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