Der Glanzrappe
Knick im Weg zeichnete sich dessen Profil deutlich ab. Der Reiter hielt einen Augenblick inne und kam dann weiter auf ihn zu. Als sie dicht aneinander vorbeiritten, zügelte der andere sein Pferd und sprach ihn mit einem fremden Namen an. Von dieser angeblichen Verwechslung getäuscht, hielt Robey inne und wollte umdrehen, doch der Glanzrappe blieb nicht stehen, und Robey verstand sofort, als er das dumpfe Knacken hörte, mit dem der Reiter den Hahn seiner Flinte spannte. Robey trieb den Rappen an, doch das war gar nicht nötig. Das Pferd stürmte bereits auf die Wegbiegung zu, und er mußte sich festklammern, denn der Hengst entwickelte eine Kraft, die er noch nicht kennengelernt hatte.
Eng an den Hals des Pferdes geschmiegt, tat er alles, um nicht abgeworfen zu werden, und er hatte wenig Hoffnung, in der scharfen Wegbiegung im Sattel zu bleiben.
Er fürchtete, daß ihm der Boden rasch entgegenkommen, daß er sich nicht auf dem Pferd würde halten können. Doch der Hengst stürmte nicht in die Biegung, sondern geradeaus weiter, sprang im letzten Moment mit einem weiten Satz über den Rand des Hohlwegs und über den Zaun hinweg und durchbrach das dichte Gestrüpp dahinter. Robey wurde im Sattel hin und her geworfen, er konnte sich nur mit Mühe festhalten. Da ertönte ein Flintenschuß, und hinter ihnen erhob sich ein Schwarm Wachteln in die Luft. Eine ganze Weile peitschte das Dornengestrüpp heftig auf sie ein, bis sie in lichteres Unterholz kamen und dann über einen Graben setzten, um auf der anderen Seite wieder im Wald zu verschwinden.
Es war nicht die gefährliche Begegnung, die sich später in seinen Gedanken festsetzte, sondern die Souveränität seines Pferdes, sein Gespür für Menschen. Erlebnisse dieser Art sollte er noch einige haben, aber dann mußte er nicht mehr abwarten, bis der Hahn knackte oder ihn Pulverdampf umhüllte, sie verschwanden gleich um die nächste Wegbiegung. Es passierte immer wieder, und dann preßte er dem Hengst die Hacken in die Seiten, so daß er stieg, und mit wenigen Sprüngen waren sie auf und davon.
DIE TAGE VERGINGEN, und der drängende Auftrag seiner Mutter lastete zunehmend auf ihm. Ihm war die Verantwortung bewußt, die er mit dem Versprechen übernommen hatte. Er mußte seinen Vater finden und ihn nach Hause zurückbringen. Und er erinnerte sich daran, daß sie gesagt hatte, er solle unterwegs nicht herumtrödeln, sondern den Vater möglichst rasch finden, spätestens bis Juli. Warum bis Juli? Was sollte im Juli passieren? Oder war es schon passiert? Er überlegte, welcher Monat eigentlich war. Nein, sicher noch nicht Juli.
»Morgen«, sagte er sich ein weiteres Mal. Morgen würde vielleicht der Tag sein, an dem er den Vater fand. Aber die Tage kamen und gingen, und er hatte den Eindruck, daß er dem Fluß, an dem sich die Armee aufhalten sollte, nicht näher kam. Er hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie groß das Land war und wie viele Wege sich darin kreuzten.
Jetzt war er in einem feuchtwarmen, von Fliegen heimgesuchten Landstrich unterwegs und wünschte, sich erheben zu können ins Reich der pfeilschnell dahinschie ß enden Vögel. Er wünschte sich, daß dem Glanzrappen Flügel wüchsen und er ihn durch die Lüfte trüge. Über die Ebene, die sich im Osten an das Tal anschloß, zog ein langer, wirbelnder Wind, und er hatte Heimweh, war erschöpft und aller Illusionen beraubt. Er war fast am Ende seiner Kräfte, und seine Glieder fühlten sich an, als wäre er hundert.
Als es dunkel geworden war, verließ er die Straße und folgte einem schmalen Pfad zwischen den Bäumen, dann verließ er auch diesen Pfad und drängte das Pferd, sich einen eigenen Weg durch den Wald zu suchen. So setzte er seine Reise fort, um Abstand zum Treiben der Menschen bemüht. Er sehnte sich nach einem abgelegenen Platz, wo er sich ungestört niederlassen konnte, entspannen und schlafen, denn sonst würde er irgendwann einfach aus dem Sattel rutschen und zu Boden fallen. Er mußte sich dringend hinlegen, auf die Erde, mußte seinem wunden Körper eine Pause gönnen und seine Kräfte sammeln.
Er sattelte den Rappen ab, damit dessen Rücken im Mondlicht abkühlen konnte, strich mit den Händen die Beine des Tieres entlang, hob einen Fuß nach dem anderen an und suchte nach Rissen in der Hufwand. Dann klaubte er die Kletten aus dem Schweif. Er fragte sich, warum das Pferd so unempfindlich gegen Schmerz war, so gewappnet gegen jede Schwäche. Längst war ihm klargeworden, daß
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