Der Glanzrappe
würde er gleich zusammenbrechen. Er befürchtete, wenn er es erzählte, würde er das wenige verlieren, das von ihm noch geblieben war. Etwas zu erzählen, wovon er annahm, daß das Pferd es schon wußte, würde bedeuten, daß er sich für immer in ihm verlor.
Das war die Zeit, als er beschloß, den Hengst zu behalten, ihn Morphew irgendwie abzukaufen, die Erben des Kavalleristen ausfindig zu machen, dem er vor Morphew gehört hatte, und auch ihnen den Preis zu bezahlen.
ER RITT WEITER durch die knorrigen Wälder in dem rauhen, flachen, verwilderten Land, durch weite, seltsam verbrannte Landschaften, und hier begegnete er dem Tod.
Schon lange bevor er bei dem zerstörten, verwüsteten Haus ankam, lange bevor er überhaupt von dessen Existenz wußte, zog ihn etwas in diese Richtung. Vielleicht war es die gespenstische Leere, die er in der Umgebung spürte. Er fühlte, wie sich etwas in ihm zusammenzog und ihm sagte, daß er einen weihevollen Ort betrat. Er sah einen Schwarm Geier und aus dem Schatten am Boden eine Bewegung zum Licht hin, und dann schlich eine Meute von Hunden vorbei, die einen unverkennbaren Geruch mit sich trug. Er kam aus ihren Mäulern und aus dem Brustfell und tränkte ihre beschämten Gesichter.
Hier waren ohne ersichtlichen Grund Menschen getötet worden, die verlorenen Seelen ausgesetzt und die Leichen wie verrottendes Holz in Gräben und hinter spitze Pfähle geworfen. An ihren Knochen hingen Fetzen von Fleisch und von Kleidern, und so wie sie hier aufeinan d ergestapelt lagen, war schwer zu erkennen, wie viele es genau waren. Da war niemand, der ihn durch diesen unheilvollen Ort führen konnte, und auch wenn er nicht wußte, wie viele Menschen überhaupt auf der Erde lebten, kam es ihm in diesem Augenblick so vor, als sei die Hälfte von ihnen unbestattet der Verwesung anheimgegeben. Der Geruch war wie frisches Gift, das sich mit dem Wind vermischte. Noch nie hatte er menschliche Leichen gerochen, aber diesen Geruch erkannte er instinktiv.
Aus einem vagen Gefühl von Pietät stieg er vom Pferd und ging zusammen mit dem Tier quer über das Schlachtfeld bis hinüber in den dunklen Wald. Als er wieder in den Sattel steigen wollte, versank sein Fuß im Boden, und er blieb mit dem Knöchel zwischen den Rippen eines Mannes hängen, der abseits von den anderen Toten in einem flachen, vom Regen freigespülten Grab lag. Seine Knochen waren kalkig, vertrocknet und gebrochen, ein Arm wie zum militärischen Gruß an den grauen Schädel gehoben und die Fingerknochen in einem schmerzhaften Todeskampf zur Faust geballt. Dieser Mann mußte lange vor allen anderen gestorben sein. Hatte hier schon einmal ein Krieg getobt? War das ein Ort, an dem der Krieg auf der Lauer lag wie ein wildes Tier?
Antworten auf diese Fragen hatte er nicht, und er dachte auch nicht lange darüber nach. Er wußte nur, daß er dem Krieg offensichtlich näher kam. Und er dachte, wenn hier so viele Tote lagen, die im Krieg gekämpft hatten, dann würde wohl der Krieg den Sieg davontragen.
IN DER NACHT GINGEN die meisten Menschen zu Bett, aber nicht alle. Immer wieder hörte er das Geräusch hämmernder Hufe, und er vermied es, den Banden bewaffneter Männer, die auf ihren Pferden an ihm vorbeihetzten, zu begegnen. Problematischer waren die einsamen Reiter, die sich lautlos durchs Dunkel bewegten. Solche Reiter traf er unterwegs häufig, von Gewalt geprägte Männer, unberechenbar und gefährlich. Sie ritten mit lockeren Zügeln, einen Karabiner oder eine doppelläufige Flinte auf den Oberschenkel gestellt.
Wenn einer solchen Begegnung nicht auszuweichen war, verlangsamte er den Ritt und hob den Arm zum üblichen Gruß, den einsame Reiter auf Nebenwegen austausehen. Meist waren die anderen ebenso mißtrauisch wie er und wollten mit ihm genauso wenig zu tun haben wie er mit ihnen. Sie hatten ihre Gründe und geheimen Ängste, nicht auf der Straße gesehen zu werden, waren in eigener Sache unterwegs. Aber wenn dann der pechschwarze Hengst aus dem Schatten auftauchte und immer größer wurde, drehten sie sich im Sattel, um ihn besser betrachten zu können, bis er ihren Blick in seinem Rücken spürte.
Es kam der Abend, an dem er einen tief eingeschnittenen, von Bäumen und Büschen gesäumten Weg entlangritt, der auf beiden Seiten von einem Balkenzaun begrenzt wurde. Die Luft war drückend und zu schwer, um Geräusche aus der Umgebung heranzutragen. Von vorn näherte sich ihm die Gestalt eines dunklen Reiters, an einem
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