Der Glasmaler und die Hure
vordere zu.
Martin kümmerte sich nicht um den Befehl, zog Thea mit sich und lief tiefer in den Wald hinein. Eine Weile hörten sie noch die Stimmen der Männer, dann glaubten sie, ihnen entkommen zu sein, und liefen langsamer, aber mit wild klopfenden Herzen zurück zum Lager.
Der Schuß war im Wald gefallen. Rupert legte seinen Degen zur Seite und öffnete das kleine Fenster der Dachkammer, um zu schauen, was dort vor sich ging. Hatte man einen feindlichen Kundschafter gestellt, oder war es einem dieser tumben Idioten aus Übermut in den Sinn gekommen, auf einen Hasen zu schießen?
Rupert konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Kein weiterer Schuß war zu hören, doch aus der Ferne konnte er ein Rufen vernehmen.
Er ließ das Fenster offen, um sich an der kühlen Morgenluft zu erfrischen, und fuhr damit fort, seinen Degen zu schärfen. Die Waffe würde schon bald zum Einsatz kommen. Sibold hatte ihn am gestrigen Abend davon in Kenntnis gesetzt, daß die Armee sich zum Aufbruch bereitmachte. Alles deutete darauf hin, daß eine große Schlacht bevorstand. Die Nachricht überraschte Rupert. Er hatte angenommen, daß die beiden Heere ihr Winterquartier aufschlagen und erst im Frühjahr aufeinander zumarschieren würden, doch das Oberkommando schien eine schnelle Entscheidung herbeiführen zu wollen. Also würden sie nach Leipzig ziehen, um Wallensteins Armee zu stellen und hoffentlich zu vernichten.
Rupert fühlte sich wohl in diesem Haus und grämte sich darüber, es schon so bald verlassen zu müssen, doch zumindest bot eine Schlacht die Aussicht auf Beute – oder aber auf den Tod.
Stampfende Schritte auf der Treppe rissen Rupert aus diesen Gedanken. Die Tür zur Kammer wurde aufgestoßen, und Berthold stürzte keuchend in das Zimmer. Seine Schläfe blutete, und in seinen Augen stand Todesangst.
Der Schuß im Wald – hatte er Berthold gegolten?
»Rupert!« rief Berthold. Seine Beine zitterten so sehr, daß er sich am Tisch festhalten mußte, um nicht zu Boden zu fallen.
Rupert fuhr von seinem Schemel hoch. »Was ist geschehen?«
»Man … man wollte mich töten.«
»Im Wald? Ist auf dich geschossen worden?«
Berthold nickte eifrig.
»War es einer von unseren Leuten?«
»Nein«, widersprach Berthold, noch immer völlig außer Atem. »Kein Soldat.«
»Ein Dieb?«
»Es war Martin … unser Vetter aus Magdeburg.«
Berthold langte nach einem Krug Wein. Nur ganz allmählich schien er sich ein wenig zu beruhigen.
»Martin?« raunte Rupert. »Du mußt dich irren.«
Berthold bekreuzigte sich. »Wir haben ihn getötet, Rupert. Ein Toter verfolgt uns.«
»Ein Wiedergänger?« Rupert lachte zischend. »Erzähl keinen Unsinn.«
»Er trug das Medaillon, das mir die Hure gestohlen hat«, stieß Berthold hastig hervor. Seine Stimme überschlug sich. »Sie sieht der Frau in dem Medaillon so ähnlich.« Er heulte elendig auf. »Wahrscheinlich ist sein Weib mit ihm aus dem Totenreich zurückgekehrt. Du hättest ihre Leiche nicht schänden dürfen. Für diesen Frevel werden uns die Toten in die Hölle schicken.«
Rupert stand auf und trat durch den Raum. »Du bist also wirklich davon überzeugt, daß es Martin war?«
»Gewiß.«
Es schmerzte Rupert, seinen Bruder in diesem Zustand zu sehen. Der Gedanke, daß er fast getötet worden war, machte ihn schier wahnsinnig.
»Unser Vetter ein Wiedergänger?« Rupert griente. »Da ran mag ich nicht glauben. Wenn es wirklich Martin ist, dann muß er die Plünderung der Stadt überlebt und nach uns gesucht haben.«
»Was sollen wir tun?« fragte Berthold.
Rupert nahm den Degen zur Hand und fuhr mit den Fingerspitzen die geschärfte Klinge entlang. »Na, was schon? Wir kennen seinen Namen, und darum werden wir uns davon überzeugen, ob es sich bei Martin Fellinger um einen Dämon oder um einen Mann aus Fleisch und Blut handelt.«
Die schwedische Armee befand sich wieder auf dem Marsch. Im strömenden Regen schoben sich die langen Kolonnen auf Leipzig zu. Tausende gebeugter Gestalten wälzten sich durch den Schlamm voran, bis sie nach einem Tag und einer Nacht die kleine, südwestlich von Leipzig gelegene Ortschaft Lützen erreichten. Hier nun forderte der schwedische König das kaiserliche Heer, das von Wallenstein bereits aufgeteilt und in die Winterquartiere geschickt worden war, zu der entscheidenden Schlacht am Ende dieses Jahres heraus.
Auch die Armee der Schweden war indes noch nicht zum Kampf bereit. Die schlechte Witterung hatte den Vormarsch der
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