Der Glasmaler und die Hure
Nacht hatte er sich zu Thea gehockt und sich von ihr berichten lassen, wie sie in den Besitz des Medaillons gelangt war. Ihr Geständnis, daß sie bereits schon seit Wochenwieder ihren Körper verkaufte, bereitete ihm weiteren Kummer, doch er verbannte die Wut über diesen Vertrauensbruch vorerst aus seinem Kopf. Weit mehr bestürzte ihn Theas Offenbarung, daß sie sich Berthold hingegeben hatte. Ihn schmerzte die Vorstellung, daß einer der Mörder Sophias bei ihr gelegen hatte, aber er lauschte weiter aufmerksam ihrer Schilderung und erfuhr so, daß Thea erst klargeworden war, um wen es sich bei dem Mann handelte, als sie das Medaillon bemerkt hatte. Ein kalter Schauer lief über Martins Rücken, als er erfuhr, daß sie Rupert auf ihrer Flucht direkt in die Arme gelaufen war.
Das Wissen, daß er über Wochen, ja wahrscheinlich seit Monaten in unmittelbarer Nähe von Sophias Mördern gelebt hatte, raubte ihm in dieser Nacht den Schlaf. Er zog es vor, allein zu sein, und legte sich auf dem Wagen zur Ruhe. Dort zerbrach er sich Stunde um Stunde den Kopf darüber, was er nun tun sollte, und er war zu dem Entschluß gelangt, daß er nur dann in Ruhe leben konnte, wenn er Sophias Mörder tot wußte.
Thea weigerte sich zunächst, ihm zu sagen, wo sich das Gehöft befand, in dem sich Rupert und Berthold aufhielten. Martin drohte ihr damit, daß er jeden Mann in dieser Armee nach seinen Vettern befragen würde, selbst wenn es Wochen dauern sollte, bis er die beiden aufspürte. Sie mußte erkannt haben, daß es sein Ernst war, denn schließlich willigte sie ein, ihn zu Rupert und Berthold zu führen. Martin wollte sie nicht in seiner Nähe haben, wenn es zu einer Konfrontation mit den beiden kam, doch Thea bestand darauf, ihn zu begleiten. Da Martin befürchtete, daß sich die Armee in einigen Tagen bereits wieder auf den Marsch begeben und er die Spur verlieren würde, gab er ihrer Forderung nach.
Sie brachen im ersten Morgenlicht auf, durchquerten das dichte Unterholz eines Waldes und gelangten nach einer Wegstrecke von einer halben Meile an diese Stelle, wo siedas Gehöft von ihrem Versteck hinter dem umgestürzten Baum überblicken konnten.
Wohl über eine Stunde harrten sie bereits aus, ohne daß sich einer der Landsknechte vor dem Haus blicken ließ. Martin erschrak, als er ein Geräusch hinter sich hörte, doch es war nur ein Fuchs, der an ihm vorbeihuschte und eilig das Weite suchte. Martin atmete auf, zog seine Pistole hinter dem Gürtel hervor und überprüfte sie. Thea verfolgte mit bangem Blick jeden seiner Handgriffe.
Eine Bewegung am Haus ließ sie aufmerksam werden. Die Tür der Kate schwang auf, und zwei zerlumpte Gestalten traten ins Freie. Von ihrer Statur her ähnelten sie Rupert und Berthold, doch sie standen halb von ihnen abgewandt, und auf diese Entfernung konnte er ihre Gesichter nicht erkennen.
Der eine ahmte einen lauten Hahnenschrei nach. Sie gackerten albern und drehten sich nun endlich um. Martin hielt den Atem an. Im nächsten Augenblick ließ er die Luft seufzend entweichen. Er hatte die Männer nie zuvor gesehen.
Nach einer Weile kehrten die beiden Soldaten in das Haus zurück. Martin ließ ein paar Momente verstreichen, dann spannte er den Hahn der Pistole und meinte zu Thea: »Ich werde noch verrückt von dieser Warterei.«
Sie schaute ihn skeptisch an. »Was hast du vor?«
»Vielleicht sollte ich in das Haus gehen und die beiden in ihrer Kammer niederschießen.«
»Um Himmels willen!« entfuhr es Thea. »Du scheinst nicht sehr an deinem Leben zu hängen. In diesem Haus halten sich zehn oder mehr Landsknechte auf. Selbst wenn es dir gelingen sollte, Rupert und Berthold zu töten, würden sie dich ergreifen und dich totschlagen oder am nächsten Baum aufhängen.«
»Es juckt mir in den Fingern, es trotzdem zu versuchen.«
Thea schüttelte den Kopf. »Wenn du auch nur einen Schritt auf das Haus zu machst, schreie ich mir die Seele aus dem Leib.«
»Dann werde ich dich wohl fesseln und knebeln müssen.«
Er hatte die Bemerkung nicht ernst gemeint, doch Thea wich vor ihm zurück und nahm eine abwehrende Haltung ein. »Versuche es, Martin, und ich kreische so laut, daß man es selbst noch im Heerlager hören wird.«
Martin hob beschwichtigend die Hände.
»Laß uns fortgehen«, bat sie ihn. »Nicht nur heute, sondern für immer. Wir verlassen den Troß und vergessen die beiden.«
»Ich soll sie vergessen?«
»Du bist kein Mörder. Stelle dich nicht auf eine Stufe mit
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