Der Glasmaler und die Hure
verschwand. Wäre er ihr gefolgt, hätte er sie ohne Mühe einholen und sie an sich reißen können, doch seine Sorge galt allein Berthold. Rupert stürmte in die Mühle und jaulte auf, als er seinen Bruder entdeckte, der blutüberströmt auf dem Boden kauerte und ein elendiges Krächzen von sich gab.
Er stolperte voran und fiel vor Berthold auf die Knie. Überall war Blut – auf dem Boden, an der Kleidung seines Bruders und auf dessen Gesicht. Berthold preßte eine Hand auf seinen Hals, doch immer wieder schoß Blut unter seinen Fingern hervor.
»Berthold«, sagte Rupert leise. Sein Bruder sackte zusammen. Die Augenlider flackerten, und der letzte Atem fuhr mit einem Stöhnen aus Bertholds Lungen.
Rupert preßte seinen toten Bruder an sich. Er küßte dessen Gesicht und schmeckte warmes Blut auf der Zunge. Er spürte die tiefe, anschwellende Wut, die wie ein heißes Feuer durch seinen Körper jagte und ihn zu zerreißen drohte. Sein Schluchzen ging über in einen verzweifelten, markerschütternden Schrei. Lauter und lauter schwoll sein Wehklagen an – ein wahnsinniges Heulen, das den Zorn in sich trug, den er gegen die Frau richtete, die seinen Bruder getötet hatte.
Kapitel 18
In Gedanken versunken, betrachtete Martin die chirurgischen Instrumente, die er hier unter dem Dach des Planwagens auf einem Leinentuch vor sich ausgebreitet hatte. Mit den Fingerspitzen fuhr er über die Zangen, Sägen, Aderpressen und Lanzetten. Er kratzte hier und da getrocknetes Blut von den Geräten und grübelte über die Frage, ob er Meister Albrecht während der morgigen Schlacht eine große Hilfe im Lazarett sein würde.
Nach fast sechs Monaten unter Albrechts Obhut waren ihm diese Instrumente so vertraut, daß er eine Aderklemme oder das Skalpell inzwischen ebenso sicher führte wie den Schneidediamanten oder die Kröselzange, mit denen er vor scheinbar unendlich langer Zeit prachtvolle Glasfenster hergestellt hatte.
Doch was nützten ihm diese Fertigkeiten, wenn er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Die Ereignisse der vergangenen Tage lähmten ihn und raubten ihm den Schlaf. Martin fühlte sich schwach und ausgelaugt. Sein Kopf schmerzte, und seine Hände zitterten.
Er nahm eine der Knochensägen zur Hand und wischte mit einem Tuch über das befleckte Metall. Katharinas zeternde Stimme riß ihn aus seinen Überlegungen. Wie so oft schimpfte sie auf den Kater ein. Manchmal schien es Martin, als hätte das Tier seit Conrads Tod für Katharina in gewisser Weise dessen Stelle eingenommen. Katharina vermißte anscheinend die Tiraden, die sie einst über ihren Bruder ausgeschüttet hatte, und so mußte nun der Kater ihren Unmut ertragen.
Katharinas Stimme lenkte Martin nur kurz ab. Bald daraufkehrte er bereits wieder im Geiste zu dem Vorfall zurück, der sich vor wenigen Tagen im Wald vor dem Gehöft ereignet hatte.
Sein Versagen quälte ihn. Rupert und Berthold hielten sich noch immer wohlbehalten in diesem Heer auf, womöglich an einem Ort ganz in der Nähe. Vor allem ärgerte Martin sich darüber, daß nun, nachdem die Armee so überstürzt aufgebrochen und nach Lützen marschiert war, kaum noch die Möglichkeit für ihn bestand, die beiden ein weiteres Mal in der Masse der Soldaten aufzuspüren.
Ist das die Strafe für die Todsünde, die ich auf mich geladen habe?
Martin dachte an Wenzel, der gefesselt und wehrlos vor ihm um Gnade gefleht hatte, bevor er ihm das Leben genommen hatte.
Sollte er nach dem Ende der Schlacht versuchen, Rupert und Berthold zu finden? Hatte das überhaupt Sinn? Denn selbst wenn es ihm gelang, seine Vettern in diesem Armeekoloß aufzuspüren, war er sich nicht sicher, ob er überhaupt noch dazu in der Lage war, seine Rache in die Tat umzusetzen.
Der Vorfall mit Berthold hatte ihm deutlich gemacht, daß er kein kaltblütiger Mörder war. Seit der Begegnung mit Wenzel im Podelwitzer Lazarett hatte sich viel für ihn verändert. Damals war es ihm leichtgefallen, Wenzel zu töten, und doch hatte er es nicht fertiggebracht, die Pistole auf Berthold abzufeuern.
Würde ihm das gelingen, wenn er Rupert gegenüberstand? Martins Zorn schlug in all den Monaten seit Sophias Tod vor allem ihm entgegen. Rupert war zum Sinnbild seines Schmerzes geworden; er verfolgte ihn in seinen Träumen, und Martin war davon überzeugt, daß nur der Tod seines Vetters ihn von seinem Seelenschmerz erlösen konnte.
Inzwischen schüttete Katharina einen neuen Schwall an Flüchen und Verwünschungen über den Kater aus.
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