Der Glasmaler und die Hure
anstarrte.
Der Bursche rannte davon. Rupert fluchte. Es würde nicht lange dauern, bis man der Frau zu Hilfe eilte. Ihm blieb keine Zeit mehr. Sie mußte reden – oder sterben.
Rupert preßte seine Hand auf ihre Kehle und drückte fest zu. Das Gesicht der Vettel lief blau an, ihre Zunge kam weit aus dem Mund hervor und zappelte wie ein Aal.
Er ließ sie los, wartete kurz ab, bis sie würgend nach Luft geschnappt hatte und bellte dann: »Wo ist sie? Wo ist die Hure?«
Die Alte bedeckte die blutige Brust mit ihrer Hand. »Lieber beiß ich mir die Zunge ab.«
Rupert betrachtete das Blut, das von der Spitze des Dolches tropfte. Er fuhr mit einem Finger die Klinge entlang, dann riß er einen breiten Streifen Stoff vom Hemd der Frau ab.
»Du wirst mir trotzdem von Nutzen sein«, zischte er und setzte den Dolch an ihre Kehle.
Thea klammerte ihre Arme fest um Martins Leib. Mit Mühe gelang es ihr, sich auf dem Pferd zu halten. Martin trieb Eris in einem halsbrecherischen Ritt vorwärts. Die Menschen im Lager waren gezwungen, in raschen Sprüngenzur Seite zu weichen, was Martin und Thea zahlreiche zornige Flüche und Verwünschungen einbrachte.
Als sie den Wagen erreichten, brachte Martin sein Pferd so abrupt zum Halten, daß Thea fast vom Rücken der Stute fiel. Sie stöhnte auf, rutschte auf die Erde und nahm sogleich wahr, daß sich um den Wagen ein Dutzend Männer und Frauen versammelt hatte. Eine schreckliche Ahnung überfiel Thea. Martin zog sie auf die Beine, und auch ihm war die Sorge um Katharina deutlich anzumerken.
»Katharina«, rief Martin, als er auf den Wagen zulief. Eine Antwort blieb aus. Statt dessen wandten sich ihnen besorgte und erschütterte Gesichter zu.
Zwei kräftige Männer hoben einen leblosen Körper vom Wagen und legten ihn auf die Erde. Martin stöhnte laut auf. Thea brachte nur ein ersticktes Schluchzen hervor, als sie Katharina in ihrem zerrissenen, blutbefleckten Kleid vor sich liegen sah. Die Augen der alten Frau standen offen, aber sie waren ohne Leben. Jemand hatte ihr die Kehle von einem Ohr zum anderen durchtrennt.
»Ich habe einen Mann gesehen«, sagte ein schlaksiger Bursche, der zum wiederholten Male das Kreuz vor seiner Brust schlug. »Er muß direkt aus der Hölle gekommen sein, um diese Frau zu töten. Sein Gesicht war das eines Teufels.«
»Eines einäugigen Teufels?« fragte Martin.
Der Bursche nickte eifrig.
»Schaut euch das an«, rief einer der Männer vom Wagen. Er reichte Martin einen Fetzen Stoff. Martin faltete ihn vorsichtig auseinander. Zunächst glaubte Thea, er wäre nur mit Blut beschmiert, doch dann erkannte sie, daß Rupert ihnen eine Nachricht hinterlassen hatte. Einen Hinweis, verfaßt mit Katharinas Blut. Es handelte sich um ein Quadrat, in dessen Mitte ein großes ›X‹ gezeichnet worden war.
»Was soll das bedeuten?« fragte Thea.
Martin ließ das Tuch sinken. »Die Mühle«, sagte er leise. Ermattet rieb er über sein Gesicht. »Er wartet dort auf uns.«
Kapitel 19
Sie begruben Katharina in der Nähe des Mühlgrabens. Während Martin eine Grube aushob, wusch Thea Katharinas Leichnam und nähte ihn in ein breites Laken.
Martin fühlte seine Kräfte schwinden. Jedesmal, wenn er die Schaufel anhob, kam es ihm vor, als würde er im nächsten Moment unter dieser Last zusammenbrechen. Thea schien es nicht besser zu ergehen. Gelegentlich hielt er inne und schaute sie an. Immer wieder ruhten ihre Hände über dem Laken, und sie stierte reglos auf den Boden, während sie um Katharina weinte.
Nachdem sie die Leiche in die Grube gelegt und die Erde auf sie geschüttet hatten, senkte sich der Schleier der Nacht über das Lager. Martin verspürte Erleichterung darüber, daß sich dieser schreckliche Tag dem Ende zuneigte.
Die Ereignisse überrollten ihn. Er wünschte sich Ruhe, doch es war notwendig, Katharina zu begraben, bevor sie Rupert entgegentraten. Keiner von ihnen sprach es aus, aber sie wußten, daß sie bei der bevorstehenden Konfrontation mit Rupert ihr Leben verlieren konnten. Sie wollten Katharinas Leiche nicht auf dem Wagen zurücklassen, bis man die Tote vielleicht erst nach Tagen finden und in einem Massengrab verscharren würde.
Es blieb keine Zeit, einen Priester herbeizuschaffen. So hockten nur Martin und Thea am Grab und hielten sich an der Hand. Thea weinte noch immer. Martin erinnerte sich daran, wie gefaßt sie Conrads Tod hingenommen hatte. Nun aber hielt sie ihre Trauer nicht zurück, und Martin konnte ihre
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