Der Glasmaler und die Hure
gemauerte Untergeschoß wies Risse und Löcher auf, der hölzerne Oberbau schien fast in sich zusammenzufallen und von den Mühlenflügeln schwankte nur noch ein einziger träge im Wind, während die drei anderen lange zerbrochen waren und wie faule Zahnstümpfe wirkten.
Sie saßen ab und banden Eris’ Zügel an einem Baum fest.
»Dort ist es geschehen«, sagte Thea und deutete auf die kaum vierzig Schritte entfernte Mühle. Ihr Blick richtete sich auf die geschlossene Tür. Der Gedanke, daß Rupert in diesem Gebäude hockte, ließ sie schaudern. Sie warteten eine Weile ab, bis Martin ungeduldig wurde.
»Wir müssen herausfinden, ob sich Rupert dort noch immer versteckt«, sagte er.
Thea beschrieb mit der Hand einen Kreis. »Wir sollten uns der Mühle von hinten nähern. Dort ist das Mauerwerk eingestürzt.«
»Wie breit ist dieser Einsturz?« wollte Martin wissen.
»Breit genug, um das Innere der Mühle zu überblicken. Du könntest dich sogar hindurchzwängen.«
Martin zog seine Pistole hervor und bedeutete Thea, ihm zu folgen. In einem weiten Bogen schlichen sie durch das Unterholz und liefen einige Schritte über das freie Feld, bis sie die hintere Mauer der Mühle erreicht hatten. Thea spürte ihr Herz aufgeregt schlagen, und dieser Takt beschleunigte sich noch, als Martin sich aufrichtete und vorsichtig durch den Einsturz in die Mühle spähte. Vor ihrem geistigenAuge malte sie sich ein Schreckensbild aus. Sie war plötzlich überzeugt davon, daß Rupert bereits auf sie aufmerksam geworden war und im nächsten Moment auf Martin schießen würde. Doch alles blieb ruhig.
»Es ist dunkel«, flüsterte Martin ihr zu. »Ich kann eine Leiche erkennen. Oben gibt es eine Balustrade, die ich nicht einsehen kann.«
»Was sollen wir jetzt tun?« fragte Thea.
Martin überlegte kurz. »Du mußt die Tür aufstoßen. Wenn er sich dort oben versteckt hält, wird ihn das vielleicht zu einer unbedachten Bewegung verleiten. Außerdem ist es dann hell genug in der Mühle, damit ich von hier aus auf ihn schießen kann.«
»Glaubst du wirklich, Rupert wird sich so leicht überrumpeln lassen?«
»Welche Wahl bleibt uns denn?«
Thea wußte darauf keine Antwort, und darum nickte sie nur und lief geduckt um die Mühle. Als sie den Eingang erreicht hatte, holte sie tief Luft und trat gegen die Tür, so daß diese nach innen aufschwang. Rasch preßte sie ihren Rücken gegen die Wand und wartete gespannt auf einen Schuß oder ein anderes Geräusch.
Dann trat jemand aus der Tür. Thea zuckte erschrocken zusammen, doch sie beruhigte sich schnell, als sie Martin erkannte.
»Rupert ist nicht hier.« Martin deutete auf die morsche Holzbalustrade, die das Mühlenwerk umgab und die sie nun im Licht gut überblicken konnten.
Er ging zurück in die Mühle und stellte sich neben Bertholds Leiche. Dem Toten waren die Arme über die Brust gefaltet und die Augen geschlossen worden.
»Herrgott, schau dir das an!« Martin wischte mit dem Fuß über die getrocknete Blutlache, die den halben Boden bedeckte. Auch an den Wänden klebte Bertholds Blut. Am Hals der Leiche prangte deutlich die klaffende Wunde.
Thea fühlte sich nicht wohl an diesem Ort. Sie wollte fort von hier, und zudem plagte sie eine neue Befürchtung.
»Vielleicht hält sich Rupert in der Nähe auf.«
»Um uns zu beobachten?« Martin schüttelte den Kopf. »Er muß rasend vor Zorn sein und wäre gewiß auf uns losgegangen, wenn er uns bemerkt hätte.«
Thea verschränkte die Arme und betrachtete die Leiche. »Du glaubst, er läßt seinen Bruder einfach so zurück?«
Martin kratzte seine Stirn. »Dafür kann es nur einen Grund geben: Rupert ist aufgebrochen, um uns zu finden.«
Eine böse Ahnung überfiel Thea. »Du meinst …«
»… er hat überhaupt nicht erwartet, daß wir hierherkommen«, sprach Martin ihren Gedanken aus.
»Katharina!« raunte Thea.
Martin faßte sie am Arm und zog sie eilig mit sich zurück zu Eris. Er hievte sie auf den Rücken der Stute, schwang sich selbst in den Sattel und trieb das Pferd zu einem halsbrecherischen Galopp an. Sie wußten nicht, wann Rupert aufgebrochen war, und Thea flehte zu Gott, daß sie vor ihm im Lager eintreffen würden.
Rupert nahm die Geräusche um sich herum kaum wahr. Die heiseren Stimmen, das Scheppern von Metall und das Poltern der Geschützwagen drangen so gedämpft in seine Ohren, als wären sie mit Harz verstopft. Die Vorbereitungen zur Schlacht kümmerten ihn nicht. Es war ihm gleich, ob diese Armee
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