Der Glasmaler und die Hure
gezogen. Conrad verriet ihr, daß es sich um einen 24-Pfünder handelte, der erst unmittelbar vor einer Schlacht zusammengesetzt werden konnte und dessen Reichweite mehr als eintausend Schritt betrug.
»Himmel«, meinte Thea, noch immer beeindruckt von der Menge an Kriegsgerät, das diese Armee mit sich führte. »Wer sollte sich einer solchen Kriegsmacht widersetzen können?«
Conrad lächelte bitter. »Es heißt, Tillys Heer wäre den Schweden zahlenmäßig weit überlegen. Aber seine Männer sollen sich in schlechterer Verfassung befinden. Die Belagerung von Magdeburg hat an ihren Kräften gezehrt, und nach der Zerstörung der Stadt leiden sie Hunger. Die Schweden sind besser ausgerüstet, jedoch unerfahren im Kampf. Seit ihrer Ankunft auf deutschem Boden haben sie es nur fertiggebracht, einige Städte zu plündern.«
Nachdem sie geraume Zeit durch die Söldner- und Artilleriekolonnen gefahren waren, wandelte sich das Bild dieser Armee. Inzwischen kamen ihnen kaum noch Soldaten entgegen, statt dessen begegneten ihnen mehr und mehr Zivilisten, darunter sehr viele Frauen und Kinder. Sie folgten dem Heer mit ihren Bagagewagen, Handkarren oder geschultertem Gepäck. Ihre Kleider waren ebenso zerschlissen und schmutzig wie die der Soldaten. Selbst wenn Thea sich auf dem Bock aufrichtete, konnte sie ihre Zahl nicht überblicken. Es mochten Tausende, ja Zehntausendesein, die sich der Armee angeschlossen hatten. Für Thea schien es so, als befände sich eine ganze Stadt auf dem Marsch.
»Dies nun ist unser eigentliches Ziel«, sagte Conrad und beschrieb mit der Hand einen weiten Bogen über die Leute. »Handwerker, Marketender, Glücksspieler, Dirnen, Soldatenweiber, Kurpfuscher und Bettler. Der stinkende Rattenschwanz von Gustav Adolfs stolzer Armee.«
»So viele«, raunte Thea. Sie fühlte sich wie erschlagen von diesem nicht enden wollenden Menschenstrom.
»Sie suchen nach Schutz – ebenso wie du«, sagte Conrad. »Aber es sind auch viele unter ihnen, die sich am Krieg bereichern wollen, sei es durch Raubzüge oder Betrug. Also schau besser zweimal in jedes Gesicht, dem du hier begegnest.«
Theas Auge folgte einer Krähe, die über sie hinwegflog. Die schwarzen Vögel waren überall. Sie hockten dicht gedrängt auf den Bäumen, flatterten in Schwärmen wie ein dunkler Schatten über dem gesamten Heerzug und stürzten sich gierig auf den Unrat, den der Menschenstrom hinter sich zurückließ.
Conrad reckte seinen Hals und schaute sich angestrengt in alle Richtungen nach dem Wagen seiner Schwester um. Thea hielt diese Suche für ein schwieriges Unterfangen, denn auch wenn viele dem Troß zu Fuß und mit leichtem Gepäck folgten, befanden sie sich inmitten von Hunderten Gefährten, Planwagen und Pferdekarren auf einer Breite von fast einer ganzen Meile.
»Wie willst du deine Schwester hier finden?« fragte Thea deshalb.
Conrad hielt den Blick auf die entgegenkommenden Fahrzeuge gerichtet. »Es gibt ein Zeichen. Siehst du die Fahnen und Tücher, die an den Wagen befestigt sind?«
Plötzlich fielen Thea die bunten Erkennungsmerkmale auf. An fast jedem Wagen waren an langen HolzstrebenStoffetzen angebracht, die munter im auffrischenden Wind flatterten und von weither zu erkennen waren.
»An Katharinas Wagen befindet sich ein rotes Dreieckstuch. Halt Ausschau danach!«
Thea suchte nach dem Zeichen, und nach einer Weile entdeckte sie tatsächlich ein Tuch, das Conrads Beschreibung entsprach.
»Ja, das ist sie«, meinte Conrad mit Blick auf den noch ein gutes Stück entfernten Planwagen. Während sie sich dem Gefährt näherten, machte Conrad ein skeptisches Gesicht. »Katharina wird nicht erfreut darüber sein, daß ich euch beide aufgenommen habe.«
»Wir wollen euch nicht zur Last fallen.« Thea bereute diesen Satz, sobald sie ihn ausgesprochen hatte. Schließlich waren sie auf Conrads Hilfe angewiesen.
»Unsinn«, tat Conrad ihren Einwand ab. »Katharina mag eine giftige Zunge haben und stur wie ein alter Maulesel sein, aber tief in ihr steckt ein guter Kern.« Conrad nahm seine Pfeife aus dem Mund und legte sie neben sich auf den Bock. »Trotzdem danke ich dem Herrn auf Knien, daß Katharina meine Schwester ist und nicht die Frau, mit der ich das Bett teilen muß.«
Er lachte laut und trieb die Pferde an. Thea konnte den mit grauer Plane überspannten Wagen nun besser erkennen. Er war etwas größer als die meisten Gefährte in diesem Troß und wurde von zwei stämmigen Ochsen gezogen. An den Seiten waren
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