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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Fässer und Kisten mit Seilen festgezurrt und auch ein Käfig, in dem sich mehrere Hühner befanden. Die Zügel auf dem Kutschbock führte eine hochaufgeschossene, hagere Frau, in deren knochigem Gesicht vor allem ein schmallippiger Mund und der stechende Blick auffielen. Sie trug ein schwarzes, schmuckloses Kleid sowie ein Kopftuch, das ihr Haar verbarg und ihre strengen Züge hervorhob.
    »Katharina«, rief Conrad laut und winkte ihr. SeineSchwester bemerkte ihn, ließ aber keine Regung erkennen. Als sich die beiden Wagen auf gleicher Höhe befanden, brachte sie die Ochsen zum Stehen. Conrads Schwester maß Thea mit argwöhnischer Miene, während sie mit ihrem Bruder sprach. »Wird Zeit, daß du zurückkehrst. Jonas Driekamp macht ein Geschwür an der Seite zu schaffen, und Elina, die Frau von Theodor Drahl, hat sich zwei Finger gequetscht, wahrscheinlich sind sie sogar gebrochen.«
    Conrad hob beschwichtigend die Hände. »Gemach, Katharina. Zunächst möchte ich dich mit Thea bekannt machen. Sie wird uns eine Weile begleiten.«
    Katharina verzog das Gesicht, als hätte man ihr Essig eingeflößt. »Was soll das heißen?«
    »Na, was schon? Sie bleibt bei uns. Und auch der Mann an ihrer Seite, dem eine Kugel durch den Leib geschossen wurde.«
    Conrads Schwester hielt in ihrer rechten Hand eine lange Gerte, die sie drohend auf Thea richtete. »Das kann nicht dein Ernst sein! Sie werden uns die letzten Vorräte wegfressen, und wer weiß, vielleicht bestehlen sie uns sogar.«
    Thea fühlte sich in der Nähe dieser Frau nicht wohl. Auch wenn sie zunächst angenommen hatte, Conrad hätte in der Beschreibung seiner Schwester maßlos übertrieben, so befand sie nun, daß seine harten Worte dieser scheinbar herzlosen Vettel durchaus gerecht wurden.
    »Sie sind aus Magdeburg, Katharina«, wandte Conrad ein. »Man hat ihnen alles genommen.«
    Katharinas Augen blieben hart. »Und wenn sie aus den Pforten der Hölle geflohen wären … Ich will sie hier nicht.«
    »Das ist mir egal.« Der Ärger über seine Schwester ließ eine Ader an Conrads Kopf schwellen. »Sie bleiben! Finde dich damit ab!«
    Nach diesem Machtwort strafte Katharina die beiden mitverächtlichem Schweigen. Thea und Conrad trugen den bewußtlosen Martin vom Lazarettwagen und legten ihn zwischen Kisten und Truhen in Katharinas Gefährt nieder. Katharina verharrte derweil reglos auf dem Bock.
    Sie kletterten vom Wagen. Conrad deutete zu dem Gefährt, auf dem sich noch immer die verletzten Finnen befanden. »Ich werde diese Männer zu ihrem Regiment schaffen. Du bleibst hier bei Martin und Katharina. Keine Angst. Sie wirkt bissig wie ein Wolf, aber sie wird dich nicht zerfleischen.«
    Thea nickte, doch der Gedanke, sich mit Conrads mürrischer Schwester abgeben zu müssen, gefiel ihr ganz und gar nicht. Betrübt schaute sie dem Feldscher nach, wie er den Lazarettwagen wendete und davonfuhr. Als sie zu Katharina auf den Bock steigen wollte, fuhr jedoch die Gerte schmerzhaft auf ihre Finger nieder.
    »Untersteh dich, hier heraufzukommen!« rief Katharina wütend. Noch einmal sauste die Gerte hinab und verfehlte Theas Gesicht nur knapp.
    »Was soll das?« schimpfte Thea. »Hast nicht gehört, was dein Bruder gesagt hat? Er will, daß ich euch begleite.«
    »Der Himmel weiß, mit welch sündhaften Verlockungen du ihn betört hast, aber bei mir gelingt dir das nicht. Wenn du mit uns kommen willst, dann mußt du uns zu Fuß folgen.« Mit diesen Worten peitschte Katharina die Gerte auf die Hinterteile der Ochsen und trieb sie zu einem raschen Trab an. Thea blieb zunächst wie erstarrt stehen und verfluchte dieses gräßliche Weib in Gedanken. Sie betrachtete ihre Hand, auf der die Gerte einen blutigen Striemen hinterlassen hatte. Dann endlich löste sie sich und lief dem Wagen hinterher.
    Die Ochsen legten ein strammes Tempo vor. Schon bald geriet Thea völlig außer Atem. Ein unangenehmes Kneifen breitete sich an ihrer rechten Seite aus, und ihre nackten Füße schmerzten von all den Steinen und Wurzeln, diesich in ihre Fußsohlen drückten und ihr das Laufen mit jedem Schritt schwerer machten.
    »Fahr langsamer!« keuchte Thea, doch ihre Stimme war zu schwach, als daß Katharina sie hätte hören können. Conrads Schwester trieb das Ochsengespann unerbittlich an. Nach kurzer Zeit war Thea so erschöpft, daß ihre Schritte immer schwerfälliger wurden, während sich der Wagen weiter entfernte. Ein panischer Gedanke ergriff sie. Der Wagen würde zwischen all den

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