Der Glasmaler und die Hure
mochten das sein? Zwanzig-, dreißig- oder gar hunderttausend? Sie konnte es nicht abschätzen.
»Wir sind angekommen«, sagte Conrad und lächelte bitter. »Ein Zuhause aus Eisen, Schmutz und Blut – aber ein Zuhause.« Er setzte einen Weinschlauch an den Hals und genehmigte sich einen kräftigen Schluck.
Thea wandte sich zu Martin um. Er war aufgewacht, und sein Blick richtete sich starr auf das Dach des Wagens.
»Die Schweden«, sagte Thea. »Wir sind in Sicherheit, Martin.«
Martin nickte matt, ohne sie recht zu beachten. In seinen Augen sah sie Tränen schimmern.
ZWEITER TEIL
Kapitel 6
Conrad lenkte den Wagen die Anhöhe hinab, und bald schon wurden sie von der riesigen Heeresmasse verschluckt wie ein Fisch vom Maul eines Wales.
Gebannt betrachtete Thea die scheinbar endlosen Kolonnen der Soldaten. Die zumeist jungen Männer marschierten im dumpfen Takt der Heerpauken in lockeren Reihen mit lässig geschulterten Musketen oder langstieligen Piken. Viele Söldner stapften mit stoischer Miene daher, andere gaben Thea Handzeichen, riefen ihr Worte in fremden Sprachen zu und lachten gackernd.
Alles in allem wirkten die Soldaten ärmlicher, als Thea es erwartet hatte. Sie hatte sich die reichsschwedischen Verbände als eine gut ausgestattete, wohlgeordnete Armee vorgestellt, doch die Einheiten, die an ihr vorüberzogen, trugen zumeist ausgebleichte und schmutzige Kleidung. Die meisten führten einen Degen mit sich, dazu einen kleinen Rucksack, ein Lederkoller oder Küraß, und auf dem Kopf trugen sie einen Helm oder einen Filzhut. Manche hatten sich bunte Federn an ihre Kopfbedeckung gesteckt oder sich mit leuchtenden Rosetten geschmückt, als wollten sie es den hohen Offizieren gleichtun, die in auffallend prächtiger und protziger Kleidung die Regimenter auf stattlichen Pferden anführten.
Conrad schnalzte mit der Zunge und lenkte die Gäule im gemächlichen Trab durch die Gassen, die von den Einheiten gebildet wurden. Immer noch versuchten viele Männer, Theas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Inzwischen aber vernahm sie auch deutsche Rufe. »Steig vom Wagen, Mädchen, und lauf ein Stück mit mir«, meinte einer und einanderer wurde ungleich deutlicher, als er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht rief: »Wie wäre es mit einer Rast hinter dem Buschwerk dort? Meine Muskete ist geladen, und die Lunte glimmt bereits.« Der Kerl und seine Nebenleute lachten schallend. Thea quittierte seine Anzüglichkeiten mit einem koketten Zwinkern, das weitere Rufe provozierte.
Zumeist jedoch verstand sie die Rufe der Söldner nicht, auch wenn ihr klar war, was die Burschen von ihr wollten. Je weiter sie durch die Reihen der Landsknechte vorankamen, desto mehr fühlte Thea sich einem babylonischen Stimmengewirr ausgesetzt.
»Was sind das für Menschen?« fragte sie Conrad. »Wa rum kämpfen sie in dieser Armee?«
»Die schwedischen Einheiten setzen sich zum größten Teil aus Bauern zusammen, die in die Armee gezwungen wurden. Aber es befinden sich auch Deutsche, Finnen und Dänen unter ihnen, die freiwillig zum Heer gestoßen sind. Sie haben sich werben lassen, um der Armut zu entfliehen, die der Krieg über dieses Land gebracht hat. Dann sind da noch die Schotten – berüchtigte Verbrecher und Radaubrüder –, derer sich ihr Land entledigt, indem man sie in den Krieg verschifft. Alle diese Männer leben von ihrem kärglichen Sold und von den Plünderungen.«
Damit beuten sie dieses Land bis aufs Blut aus und treiben weitere Männer zu den Waffen, die ihrerseits zu Plünderern werden, überlegte Thea.
Sie warf einen Blick zu Martin, der hinter dem Kutschbock lag und trotz des schaukelnden Wagens und der anschwellenden Geräuschkulisse wieder eingeschlafen war. Das Sacktuch, das sie über ihm ausgebreitet hatte, war zur Seite gerutscht. Thea zog es zurecht und wandte sich wieder zu Conrad um.
»Aus welchem Grund hast du dich diesem Heer angeschlossen?« wollte sie wissen.
Conrad runzelte die Stirn. »Mir ist beizeiten klar geworden,daß es besser ist, ein Teil dieses mordgierigen Haufens zu sein, als in einer dunklen Nacht von ihnen überfallen und abgeschlachtet zu werden. Denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«
Auf ihrem Weg passierten sie mehrere Reiterregimenter, mit Schanzwerkzeug beladene Wagenzüge und Kolonnen, welche die schweren Geschütze transportierten. Vor allem eine gewaltige Kanone versetzte Thea in Erstaunen. Das Feuerrohr und die Lafetten wurden von jeweils zwanzig Pferden
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