Der Glasmaler und die Hure
meine Schwester mir den Teufel an den Hals wünschen wird, wenn wir nun zwei Mäuler mehr zu stopfen haben.«
»Gott wird dir deinen Großmut vergelten.« Thea beugtesich vor und küßte Conrad auf die Wange, damit er seinen Entschluß nicht in Zweifel ziehen würde.
Thea mußte sich schon bald eingestehen, daß das geringschätzige Urteil, das sie sich über Conrad gebildet hatte, voreilig gewesen war. Sie hatte in dem Feldscher nur einen Trinker mit spärlichen medizinischen Kenntnissen vermutet, doch ihr wurde bald klar, daß die Art und Weise, wie er sich um Martin kümmerte, auf einer langjährigen und gründlichen Erfahrung mit Heilkräutern und der Kunst der Wundchirurgie beruhte.
Conrad wusch Martins Wunde sorgfältig aus, pflückte dann in der Nähe der Kate eine Handvoll Spitzwegerich und zerkaute die Blätter gründlich. Diesen Brei preßte er auf die Wunde und verband sie neu. In seinen Vorräten befand sich außerdem ein Vorrat an zerkleinerter Weidenrinde, die er zu einem Tee aufgoß. Er trug Thea auf, Martin zu jeder Stunde einen Becher davon einzuflößen, um das Fieber zu senken. Zwar fieberte Martin auch weiterhin, aber seine Stirn fühlte sich schon bald nicht mehr ganz so heiß an, und er phantasierte kaum noch.
Sie reisten auf Conrads Wagen, der von zwei plumpen Stuten gezogen wurde. Martin legten sie neben vier verletzte Finnen unter das Plandach. Thea blieb auf dem schwankenden Gefährt die meiste Zeit in seiner Nähe, doch ab und an gesellte sie sich auch zu Conrad auf den Bock und erfuhr, daß sich der Feldscher und seine Schwester dem schwedischen Heer vor sechs Monaten angeschlossen hatten. Ein Wundarzt, so erklärte er ihr, konnte in einem fahrenden Heer niemals über einen Mangel an Arbeit klagen, auch wenn nur wenige Landsknechte und Troßleute in der Lage waren, seine Dienste angemessen zu entlohnen.
Endlich bekam Thea auch etwas zu essen. Gierig schlang sie das Dörrfleisch hinunter, das Conrad ihr reichte. Ihrwurde fast ein wenig übel dabei, trotzdem war es ein herrliches Gefühl, wieder einmal satt zu werden.
Eine Weile ritt Jöran Poutiainen neben Conrads Wagen. Thea fragte ihn, wieso er die deutsche Sprache beherrschte. Der Rittmeister berichtete ihr, daß er lange Zeit bei einem Onkel in Lübeck gelebt hatte, bevor er nach Finnland zurückgekehrt war, um die Universität zu besuchen. Er erzählte Thea außerdem, daß seine Frau ihn auf diesem Feldzug begleitete und daß sie in wenigen Wochen ihr erstes Kind erwartete.
Thea begann Conrad und auch Jöran Poutiainen schnell zu mögen. Die beiden behandelten sie so aufmerksam und höflich, daß sie sich in der Gegenwart dieser beiden Männer sehr behütet fühlte. Nach den schrecklichen Ereignissen von Magdeburg tat es gut, eine gewisse Sicherheit zu spüren.
Der Feldscher und der Finne fragten sie danach, was in der Stadt geschehen war. Thea schilderte es ihnen, verschwieg aber viele Einzelheiten, die sie sich nicht mehr ins Gedächtnis rufen wollte.
Conrad äußerte die Vermutung, der schwedische König habe die Entsetzung Magdeburgs herausgezögert, um Tillys dezimiertes Heer hungernd in wüster Ödnis zurückzulassen. Ein Angriff auf die schwedische Armee sei für die geschwächten Kaiserlichen nun unmöglich geworden. Gustav Adolf habe somit seine erste Schlacht auf deutschem Boden gewonnen, ohne seine Soldaten überhaupt ins Feld zu führen.
Thea dachte in der Nacht noch lange über die Worte des Feldschers nach. Sie hielt Martin im Arm und überlegte, ob die Schweden wirklich für eine gerechte Sache kämpften. Tötete das strategische Machtkalkül womöglich jegliches Empfinden für die Menschen ab, die diesen Krieg ertragen mußten? War es ratsam, den Schutz einer solchen Armee zu suchen?
Conrads Stimme weckte sie in der Morgendämmerung.
»Dort, Mädchen! Schau!«
Thea kletterte auf den Bock und blickte in die Richtung, die Conrad ihr wies. Der Wagen stand auf einem Hügel, von dem aus sie in ein weites Tal schauen konnte.
»Gütiger Himmel!« entfuhr es Thea, und die Müdigkeit fiel von ihr ab. Eine halbe Meile von ihnen entfernt wälzte sich die schwedische Armee entlang eines breiten Flusses voran. Sie hatte niemals etwas Vergleichbares gesehen. Ein schier unendlicher Strom an Menschen, Pferden und Fuhrwerken bewegte sich auf sie zu. Auf dem Fluß begleitete eine ganze Armada von Kähnen und Booten die Armee, und abseits des Heerstroms wurden gewaltige Viehherden vorangetrieben.
Wie viele Menschen
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