Der Glasmaler und die Hure
getrennt hab. Er wollte es nicht, und doch habe ich ihn auf die Karre gebunden und fortgeschafft.«
Conrad schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Wirst bald wissen, ob er noch am Leben hängt.«
»Wie meinst du das?«
»Ich kann vielleicht seinen Leib heilen, doch Martins Seele wird dadurch nicht gesunden. Wenn er den Willen zum Leben verloren hat, dann wird es ihm nicht helfen, daß ich ihm die Bleisplitter aus dem Leib geholt habe.«
»Du zweifelst daran, ob er überhaupt leben will?«
»Oftmals haben die Toten mehr Macht über uns als die Lebenden.« Conrad erhob sich. Er klopfte seine Pfeife an dem Holzstecken vor dem Zelteingang aus und stellte fest: »Es regnet nicht mehr.«
Thea maß ihn respektvoll. »Conrad, manchmal erinnerst du mich an meinen Vater.«
Seine Augen weiteten sich in nicht ganz ernst gemeinter Besorgnis. »Sag doch so etwas nicht, Mädchen. Ich will kein Vater für dich sein. Denk an unsere Abmachung. An den Lohn, den du mir versprochen hast.«
»Du sollst ihn erhalten.«
»Nicht heute, aber ich werde dich bald daran erinnern.« Er steckte die Pfeife hinter seinen Gürtel und trat in die Nacht hinaus.
Kapitel 7
Bereits seit vier Tagen wartete Thea nun schon darauf, daß Martin sie erkannte und mit ihr sprach.
Sein Zustand hatte sich merklich gebessert. Die Wunde hatte sich nicht wieder entzündet, das Fieber war allmählich zurückgegangen, und er schwitzte kaum noch. Dann und wann hatte er die Augen aufgeschlagen, doch seine Lippen blieben verschlossen. Er starrte traurig ins Leere und schlief rasch wieder ein. Stunde um Stunde harrte Thea neben ihm aus, in der Hoffnung, daß er beim nächsten Aufwachen endlich die Welt um sich herum wahrnehmen würde.
Auch ihr Verhältnis zu Katharina gestaltete sich weiterhin schwierig. Zwar legte Conrads Schwester keine offene Feindseligkeit mehr an den Tag, doch sie gab sich noch immer äußerst wortkarg und ließ Thea deutlich spüren, daß sie keinen großen Wert auf ihre Nähe legte. Manchmal jedoch überraschte sie Thea durch unerwartete Aufmerksamkeiten. So brachte Katharina ihr tatsächlich die versprochenen Filzgamaschen, und bald darauf entdeckte Thea auch ein schlichtes, graues Leinenkleid auf ihrem Lager.
Obwohl Thea in diesen Tagen die meiste Zeit an Martins Seite oder mit Conrad und Katharina verbrachte, lernte sie recht schnell die Eigenarten der Troßgemeinschaft kennen. Während sich das Heer am Tag voranwälzte, beobachtete sie vom Wagen aus die Menschenmassen, die an ihr vorüberzogen. Die Männer und Frauen des Trosses unterschieden sich deutlich von der Stadtbevölkerung. Die Leute im Troß schienen schneller und intensiver zu leben. Sie lachten lauter und stritten sich heftiger als die Leute ausden Städten. Vielleicht lag es daran, daß ihnen in Begleitung dieser Armee der Tod allgegenwärtiger war und daß dieser Umstand sie jeden Moment des Lebens auf eine besondere Art zu schätzen lehrte.
Auch wenn sich im Unterschied zum Heer in diesem Troß vor allem Deutsche aufhielten, fiel es Thea häufig schwer, zu verstehen, worüber die Menschen in ihrer Umgebung redeten. Sie schienen sich in einer Art Geheimsprache zu verständigen, deren Sinn ihr zumeist verborgen blieb. Häufig fragte sie Conrad nach Begriffen, die ihr unbekannt waren. So erfuhr sie, daß unter anderem der
Krachwedel
der Ausdruck für einen schmächtigen Kerl war, die hölzernen Würfel, mit denen sich viele Männer die Zeit vertrieben,
Schelmenheuer
genannt wurden und daß ein
Schleppsack
ein niederes Frauenzimmer bezeichnete. Mit jedem neuen Tag schnappte Thea wohl ein Dutzend solcher Ausdrücke auf, und in der Nacht rief sie sich vor dem Einschlafen die Wörter stets noch einmal ins Gedächtnis und versuchte sie sich einzuprägen.
Tagsüber befand sich die Armee zehn Stunden oder länger auf dem Marsch. Erst gegen Abend wurde das Lager aufgeschlagen. Während die Soldaten sich in die langen Verpflegungsschlangen vor den Feldküchen einreihten, mußte der Troß sich selbst ernähren. Der Hunger ließ viele Menschen ihre moralischen Bedenken und Skrupel vergessen. Mehr als einmal erlebte Thea mit, wie sich ganze Scharen vom Troß lösten und in nahe gelegene Siedlungen einfielen. Wenn die Plünderer, unter denen sich auffallend viele Frauen befanden, zurückkehrten, schleppten sie Ferkel, Hühner und Schafe heran oder waren beladen mit Säcken voller Hausrat oder Kleidungsstücken, die sie wie stolze Trophäen präsentierten und an die jüdischen Händler
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