Der Glasmaler und die Hure
nutzten die Zeit vor dem Aufbruch, um ihre Kleidung zu waschen, Wasser zu schöpfen oder sich ihrer Abfälle zu entledigen. Auch Hunde, Ziegen, Maulesel und anderes Vieh wateten durch den Fluß.
Thea war von Katharina mit einem Holzeimer zum Fluß geschickt worden. Sie fühlte sich an die Stunden erinnert, die sie an den öffentlichen Brunnen Magdeburgs verbracht hatte. Auch dort war es immer sehr lebhaft zugegangen, wenn sich die rotwangigen und feisten Weiber lautstark über die Neuigkeiten in der Stadt und vor allem über ihre Ehemänner ausgetauscht hatten.
Auch hier am Ufer wurde geschwatzt, gelacht und gestritten. Ganz in der Nähe erklang ein heftiges Geschrei, als eine fette Matrone, die einen Eimer in das Wasser tauchte, eine Frau fortscheuchte, die nicht weit von ihr entfernt ihre Notdurft im Fluß verrichtete. Mürrisch zog das Weib davon und hockte sich einige Schritte weiter über das Wasser. Thea sah viele Frauen und auch einige Männer, die im knietiefen Wasser standen und ihren Urin und Kot im Fluß zurückließen. In ihr stiegen Zweifel auf, ob sie ihr Wasser wirklich aus dem Fluß schöpfen sollte.
Thea lenkte sich ab, indem sie, wie so häufig, an Martin dachte. Wieder hatte er kaum ein Lebenszeichen von sich gegeben. Er war nur einmal kurz aufgewacht, hatte stumm an das Dach des Wagens gestarrt und bald darauf wieder die Augen geschlossen.
Befand er sich in einer Welt, die den Toten näher war als den Lebenden? Thea wünschte sich, daß er endlich mit ihr sprechen würde, damit sie ihm erklären konnte, was geschehen war und warum es sie in diese befremdliche Gemeinschaft verschlagen hatte. Und selbst wenn er nichtmit ihr reden wollte – warum konnte er ihr nicht zumindest zeigen, daß er sich aus dem Schatten des Todes gelöst hatte?
Ein heftiges Kneifen im Unterbauch riß Thea aus ihren Gedanken. Sie ahnte, was dieser Schmerz zu bedeuten hatte. In den Jahren, in denen sie ihren Körper für Geld verkauft hatte, war sie ein halbes Dutzend Mal geschwängert worden. Sie konnte ein Kind nicht ernähren, und darum hatte sie sich stets an die kräuterkundigen Frauen gewandt, die ihr die Mittel verkauft hatten, die einer Schwangerschaft ein Ende setzten.
Die Folgen, die mit einem solchen Abort einhergingen, waren von unterschiedlichem Ausmaß. Zumeist hatte es sie kaum mehr als eine normale Monatsblutung belastet, doch es war auch vorgekommen, daß die Schmerzen sie tagelang ans Bett gefesselt hatten.
Thea rieb über ihren Bauch und wartete, bis die Schmerzen abgeklungen waren. Sie zog die Filzgamaschen aus und watete einige Schritte in das kühle Flußwasser. Winzige Fische flüchteten vor ihren Füßen. Thea bückte sich, um Wasser in den Eimer zu schöpfen. In diesem Moment jagte eine Schmerzwelle durch ihren Körper, die sie auf die Knie zwang. Sie ließ den Eimer fallen und rang nach Luft. Ihr war, als hätte man ihr ein Schwert in den Unterleib gestoßen. Sie taumelte ans Ufer zurück, kauerte sich auf den Boden und schob die Hand zwischen ihre Beine. Als sie die Finger hervorzog, klebte Blut an ihnen. Rote Tropfen fielen auf den Sand. Einen Augenblick später krümmte sie sich erneut zusammen und betete keuchend, daß diese Qualen ein Ende finden mochten.
»Kann ich dir helfen?« fragte eine ältliche Frau, die zu ihr getreten war und einen Arm um ihre Schulter legte.
»Es geht schon«, log Thea, aber sie erkannte an dem skeptischen Blick, den die Frau auf ihr blutverschmiertes Kleid richtete, daß man ihr keinen Glauben schenkte.
Thea deutete auf einen nahen Ginsterstrauch. »Kannst du mich dorthin schaffen?«
»Wie du willst.« Die Frau stützte Thea und schleppte sie hinter die Zweige, die sie vor neugierigen Blicken schützten.
»Kann ich sonst noch was für dich tun?« fragte die Frau. Thea schüttelte nur den Kopf, und die Alte zog sich zurück.
Dies ist die Strafe für den Frevel, daß ich mich gegen das von Gott gewollte Leben stelle,
schoß es ihr durch den Kopf.
Es ist seine Weise, sich an uns Frauen zu rächen.
Eine Weile lag Thea hinter dem Gebüsch. Mit tränennassen Augen ertrug sie die ständig wiederkehrenden Krämpfe. Dann endlich ebbte der Schmerz ab, und es war ihr möglich, sich aufzurichten. Sie erschrak, als sie sah, daß sich an ihrem Kleid von der Hüfte bis zum Saum ein breiter Blutstreifen abzeichnete. Auf der Erde hatte sich eine dunkle Lache gebildet. Inmitten des Blutes lag ein kleines, unförmiges Gebilde. Es war nicht größer als ihr Daumen, aber
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