Der Glasmaler und die Hure
vernahm in der Ferne ein gackerndes Lachen, das Wiehern von Pferden und die Stimme eines Mannes, der in einer fremden Sprache fluchte. Er richtete sich auf, schleppte sich an das Ende des Wagens und zog die Abdeckung zur Seite.
Es war Nacht, doch das Lager lag nicht verlassen da wie in seinem Traum. An vielen Stellen brannten Feuer. Überallhockten Menschen vor den Flammen oder streiften zwischen den Zelten und Fuhrwerken umher.
Martin rutschte mit den Beinen voran vorsichtig auf die Erde. Er stöhnte laut auf und preßte die Zähne zusammen. Seine Verletzung schmerzte so heftig, daß es ihn einen Moment lang lähmte. Jeder Pulsschlag sandte quälende Wellen durch seinen Körper, die ihm den Atem raubten.
Nach einer Weile ebbte der Schmerz ein wenig ab. Martin hielt sich gekrümmt am Wagen fest und tastete sich langsam vorwärts. Jede Bewegung tat ihm weh, aber obwohl seine Beine weich wie Teig waren, setzte er sie wankend Schritt um Schritt vorwärts.
Martin holte tief Luft und löste die Hände vom Wagen. Er taumelte, als er ohne Halt weiterging. Wahrscheinlich würde man ihn für einen Betrunkenen halten. Er schaute in die Runde. In der Nähe des Wagens, von dem er herabgestiegen war, befanden sich zwei Zelte. Hielt sich Thea dort auf? Und wenn schon! Er wollte sie nicht sehen. Zwar drängte es ihn danach, zu erfahren, was mit ihm geschehen war, aber gleichzeitig spürte er eine brennende Wut. Thea hatte ihn von Sophia fortgerissen. Er hatte neben seiner Frau sterben wollen, doch die Hure hatte das verhindert.
Martin ließ die Zelte hinter sich und passierte ein Feuer, an dem drei Männer einem Würfelspiel nachgingen. Die Hasardeure warfen ihm mürrische Blicke zu; er indes kümmerte sich nicht um die Kerle und setzte schwer atmend einen Fuß vor den anderen, bis er an das Ufer eines breiten Flusses gelangte. War es die Elbe? Oder womöglich ein anderer Fluß? Wie weit hatte man ihn von Magdeburg fortgeschafft?
Als er am Tag zuvor vom Wagen gestiegen war, hatte er gehört, wie der Mann neben Thea davon berichtet hatte, daß die Elbe schwarz sei von der Asche der Opfer Magdeburgs.
Martin sank auf die Knie und schluchzte laut. Tränenrannen seine Wangen hinab. Das Licht des Mondes schickte ein Flimmern über die Wasseroberfläche.
Das Wasser wirkte klar und sauber. Trotzdem ging es Martin nicht aus dem Kopf, daß womöglich auch Sophias Asche von diesem Strom fortgetragen wurde. Tausende kleiner Ascheflocken, die sich im ganzen Fluß verteilten.
Wimmernd preßte er seine Faust an die Stirn. In seinem Kopf tauchten Bilder auf, die vor kurzer Zeit noch selbstverständlich gewesen waren, und doch lagen sie nun so weit von ihm entfernt wie die Sterne am Himmel.
Sophias Lachen, das Gefühl ihrer Berührung, der sanfte Ausdruck in ihren Augen.
Ihr Bauch, der begonnen hatte, sich sanft zu wölben.
Seine Hand schlug auf den Boden. Wieder und wieder, bis sich sein Arm wie taub anfühlte.
Wie soll ich ohne sie leben?
schoß es ihm durch den Kopf, doch als flüsterte es ihm eine fremde Stimme ein, veränderte sich die Frage.
Wieso sollte ich ohne sie leben wollen?
In flachen Wellen pulsierte das Wasser ans Ufer. Martin kroch langsam darauf zu.
Bist du dort im Fluß, Sophia? Ich komme zu dir.
Er schleppte sich weiter voran, bis er sich ganz im Wasser befand. Einmal noch hob er den Kopf und betrachtete das Mondlicht, das sich auf der Oberfläche spiegelte, dann streckte er Arme und Beine aus und tauchte den Kopf in das Wasser.
Wie lange mochte es dauern, bis er die Besinnung verlor? Würde es schmerzhaft sein, wenn sich seine Lungen mit Wasser füllten? Gewiß nicht so qualvoll wie ein Leben ohne Sophia.
Nach einer Weile verlangte sein Körper nach Luft. Martin japste und schluckte einen Schwall Wasser. Noch einmal sah er Sophia vor sich, wie sie neben ihm in ihrem Bett lag. Und er hörte ihre Stimme.
Natürlich wirst du ohne mich leben können. Mit dir würde die Erinnerung an alles, was uns verbunden hat, sterben. Willst du das?
Nicht, Sophia, verlange das nicht von mir!
Willst du das?
Willst du das?
Sein Kopf schnellte aus dem Wasser. Wild um sich schlagend, rang er nach Luft. Seine Wunde strafte ihn mit peinigenden Stichen, die ihn rasch zur Besinnung brachten.
Keuchend erreichte er das Ufer und kauerte sich auf dem Boden zusammen.
Ein auffrischender Wind ließ ihn vor Kälte zittern. Martin richtete sich stöhnend auf und wankte in das Lager zurück. Die Leute um ihn herum warfen ihm verwunderte
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