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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Conrads Wagen und betrachtete gelangweilt die vorbeiziehenden Landschaften und die Troßleute in seiner Umgebung. Oftmals schloß er die Augen und stellte sich vor, er hielte sich nach wie vor in Magdeburg auf, einem Magdeburg, das von der Katastrophe verschont geblieben war. Er würde die Augen öffnen und Sophia vor sich sehen, die seinen Kopf zwischen ihre Hände nahm, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn zärtlich küßte.
    Die lauten Stimmen der Landsknechte und Troßleute, das Schnauben und Wiehern der Pferde und das Rumpeln zahlloser Wagen und Gefährte rissen ihn stets zurück in die wahrhaftige und traurige Welt. Wenn er die Augen öffnete,lösten sich seine Illusionen in nichts auf, und er befand sich wieder unter all diesen Fremden, den Tausenden und Abertausenden Männern, Frauen und Kindern, die ihm nicht das geringste bedeuteten.
    Inzwischen neigte sich der Juni bereits dem Ende zu. Je heißer die Sonne vom Himmel brannte, desto unangenehmer erschien Martin der Geruch dieser Masse, die sich unaufhaltsam durch das Land wälzte. Der Dunst von Schweiß und Exkrementen und der Gestank nach Krankheit und Tod schienen diesem Troß anzuhaften wie die Fliegen einem Dunghaufen.
    Zumeist zog er es vor, allein zu bleiben. Manchmal jedoch war er froh darüber, wenn Thea sich neben ihm niederließ, belanglose Gespräche mit ihm führte und ihn so für einige Zeit aus seiner Melancholie riß.
    Seit einigen Tagen blieb sie immer öfter fort. Auch wenn Martin es sich nur ungern eingestand, fühlte er sich von ihr vernachlässigt. Vor allem in den Abendstunden hielt sie sich kaum noch bei ihnen auf, sondern kehrte oft erst spät in der Nacht zurück. Martin fragte sie nicht, wo sie gewesen war, und auch Thea sprach nicht darüber.
    Martin glaubte indes zu wissen, wohin es sie trieb. Er nahm an, daß sie ihr altes Gewerbe wieder aufgenommen hatte und ihren Körper an die Männer verkaufte, die allzulang ohne ihre Frauen diesem Heerzug gefolgt waren und nach Befriedigung im Schoß der zahlreichen Huren suchten.
    In manchen Momenten verspürte er fast so etwas wie Eifersucht. Er brachte Thea keine Gefühle entgegen, aber wenn ihn allzu schwer die Trauer um Sophia und um sein ungeborenes Kind heimsuchte, wünschte er sich ihre Nähe. Doch Thea brachte nur noch selten Zeit für ihn auf.
    An ihrer Statt suchte mehr und mehr der Feldscher Conrad seine Gesellschaft. Martin hatte schnell erkannt, daß Conrad dem Alkohol übermäßig häufig zusprach. Zumeist stank Conrad penetrant nach Wein, außerdem sprach erhäufig lallend und schleppend. Martin war aber auch aufgefallen, daß sich Conrads Finger oft verkrampften, wenn er den Weinkrug an den Mund führte. Seine Hände zitterten dann so sehr, daß ihm der Wein über die Lippen rann und von seinem Kinn auf den Boden tropfte.
    An diesem Abend schien es besonders schlecht um Conrad bestellt zu sein. Sie hockten auf einer Strohmatte unter dem Zeltdach, wo der Feldscher ungelenk versuchte, den Branntweinkrug zu greifen. Er verzog gequält das Gesicht und stieß den Krug um, so daß sich der Alkohol über die Erde ergoß. Martin stellte das Gefäß schnell auf, goß den Branntwein in einen Becher und setzte ihn Conrad an die Lippen.
    »Ich danke dir«, sagte Conrad erleichtert, nachdem Martin den Becher abgesetzt hatte. Die Hände des Feldschers lagen wie verkrampfte Klauen in seinem Schoß und zitterten noch immer. Aus seinen Mundwinkeln tropfte der Branntwein, den er gierig mit der Zunge ableckte.
    »Was ist mit deinen Fingern?« fragte Martin.
    »Die verfluchte Gicht plagt mich schon jahrelang, aber seit einigen Monaten wird es immer schlimmer. Es scheint, als befänden sich meine Körpersäfte in einem groben Ungleichgewicht.«
    Martin schaute ihn fragend an, und so führte Conrad weiter aus: »Mit dem Schmerz gehen heftige Hitze und ein beißendes Stechen einher. Das läßt darauf schließen, daß sich das Blut mit der gelben Galle vermischt hat.«
    Der Feldscher setzte ein gequältes Grinsen auf. »Viel leicht ist es aber auch nur Gottes Strafe für die unkeuschen Handlungen, die ich mit diesen Händen an vielen flatterhaften Weibsbildern und vor allem an mir selbst vorgenommen hab.« Er schaute versonnen auf die verkrümmten und knotigen Finger. »Doch dann dürfte es im Grunde wohl kaum einen Mann auf Erden geben, der nicht von dieser Strafe heimgesucht werden würde.«
    »Oder gewisse Frauen«, sagte Martin.
    »Du meinst Thea, nicht wahr?«
    Martin schaute Conrad

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