Der Glasmaler und die Hure
Blicke zu. Wahrscheinlich hielten sie ihn, wie er so tropfnaß an ihnen vorbeitaumelte, nicht länger für einen Betrunkenen, sondern für einen Wahnsinnigen.
Er mußte mit Thea sprechen. Sie würde ihm erklären können, was geschehen war. Und er wollte eine Rechtfertigung von ihr – dafür, daß sie ihn von Sophia getrennt hatte.
Er vermutete, daß sie sich in einem der Zelte aufhielt, die man in der Nähe des Wagens aufgeschlagen hatte, auf dem er erwacht war. Martin nahm die beiden Zelte in Augenschein. Durch den Stoff konnte er erkennen, daß in dem kleineren eine Lampe brannte. Außerdem glaubte er Theas Stimme vernommen zu haben. Er machte einen Schritt auf das Zelt zu und zog das Leinentuch zur Seite, das die Vorderseite bedeckte.
Der Anblick überraschte ihn. Thea war nicht allein. Sie lag neben dem Mann, mit dem er sie gestern gesehen hatte. Martin nahm an, daß sie schlief, aber schon im nächsten Moment wurde sie auf ihn aufmerksam und schlug die Augen auf.
»Martin«, entfuhr es Thea. Einen Wimpernschlag lang schaute sie ihn verdutzt an, dann ließ Martin das Tuchzurück vor den Eingang fallen und humpelte so schnell wie möglich davon.
Der Schreck schnürte Thea noch immer die Brust zusammen. Conrad, der Martin wohl nicht bemerkt hatte, schien erst jetzt ihre Anspannung zu spüren.
»Was ist?« fragte er.
Thea schluckte. »Martin.«
»Er war hier?«
»Er hat uns gesehen.«
Conrad kratzte sein Kinn. »Warum sorgst du dich darum? Er weiß doch, daß du eine Hure bist.«
»Aber er begreift doch überhaupt nicht, was mit ihm geschehen ist und wo er sich befindet. All das muß ihn verwirren.«
Da gab es noch etwas, was ihr seltsam vorkam. Thea kroch zum Ausgang des Zeltes und schlug das Laken zur Seite. Martin war verschwunden. Doch sie wunderte sich vor allem darüber, daß es nicht regnete, denn Martin war völlig durchnäßt gewesen, als er in das Zelt geschaut hatte.
Was war mit ihm geschehen? War er womöglich in den Fluß gefallen?
»Ich muß ihn suchen.« Thea richtete sich auf und verließ das Zelt. Zunächst schaute sie auf dem Wagen nach Martin. Sein Lager war verlassen. Sie rief nach ihm, doch vernahm keine Antwort.
Warum mußte ich ihn heute allein lassen?
schalt sie sich. Ausgerechnet in dieser Nacht, wo er sie so dringend gebraucht hätte. Nur sie war in der Lage, ihm die Erklärungen zu geben, nach denen es ihn gewiß verlangte.
Sie dachte an den gestrigen Tag, als Martin so überraschend vor ihr gestanden und ihr mit haßerfülltem Blick bittere Vorwürfe gemacht hatte. Seine Worte hatten sie betrübt, und als die Nacht hereingebrochen war, hatte sie sich nach ein wenig Nähe gesehnt. Selbst Conrads Zelt, in dem ihr derschwere Weindunst den Atem raubte, war ein verlockenderer Ort als der Platz an Martins Seite auf dem Wagen.
Conrad hatte sich ihres Körpers bedienen wollen, aber sie machte ihm unmißverständlich klar, daß sie nicht zu ihm gekommen war, um seine Lust zu befriedigen. Ihr Unterleib schmerzte noch immer zu sehr von dem Abort, als daß sie bereit dazu gewesen wäre, einen Mann in sich aufzunehmen. Conrad hatte sich mürrisch gefügt und ihr gestattet, sich neben ihn zu legen.
Sie war schon fast eingeschlafen, als sie Martin erblickt hatte. Seine Augen hatten sie mit der gleichen kalten Ablehnung fixiert wie am Tag zuvor. Haßte er sie dafür, daß sie sein Leben gerettet hatte?
»Martin, wo bist du?« sagte sie leise, mehr zu sich selbst, als daß sie hoffte, er würde sie hören.
Womöglich war er zum Fluß zurückgekehrt. Thea griff nach einer Decke aus Sacktuch und lief an das Ufer der Havel. Ihr Unterbauch zwickte bei jedem Schritt, als würde eine Hand in ihr Gedärm kneifen.
Sie suchte eine Weile lang das Ufer ab, dann entdeckte sie seine Silhouette im Mondlicht. Martin hockte am Wasser und starrte auf den Fluß.
Sie ging langsam auf ihn zu und legte ihm die Decke um die Schultern. Unter ihren Fingern spürte sie das Schlottern seines Körpers. Zitterte er vor Kälte – oder weil sie sich ihm genähert hatte?
Zögernd setzte Thea sich neben ihn. Zunächst schenkte er ihr keine Beachtung und blieb stumm. Dann sagte er: »Du Hure liegst bei ihm.«
Seine abfälligen Worte schmerzten. Sie konnte seine Verbitterung verstehen, dennoch ärgerte es sie, daß er sich anmaßte, ihr Verhalten zu beurteilen.
Martin verzog angewidert das Gesicht. »Der Kerl war alt und fett, und es stank in diesem Zelt nach billigem Wein und Schweiß.«
»Sein Name ist
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