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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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trotzdem empfand sie Mitleid für dieses Kind, das an die Erde zurückgegeben wurde, bevor es überhaupt das Leben gespürt hatte. Thea nahm eine Handvoll Sand und bedeckte die Leibesfrucht damit.
    Mit wackligen Schritten kehrte sie ans Ufer zurück. Der Eimer und ihre Gamaschen waren gestohlen worden. Sie fluchte leise und stapfte in das Wasser, wo sie sich bemühte, das Blut aus ihrem Kleid zu waschen. Es gelang ihr nur bedingt, und so kehrte sie barfüßig und mit einem auffälligen Blutfleck an ihrem Kleid zum Troß zurück.
    Katharina nahm sich ihrer an und vermied es zu Theas Erleichterung, ihr Vorwürfe wegen des Verlustes der Gamaschen und des Eimers zu machen. Statt dessen reichte sie ihr eine Salbe aus Ziegenfett, um den schmerzenden Unterleib damit einzureiben, und bot ihr an, den Blutfleck mit Schmierseife aus dem Stoff zu waschen.
    »Herr, warum läßt du zu, daß sie uns so etwas antun?« murmelte Katharina. Thea fragte sich, was Katharina damit genau meinte. War ihre Klage, wie so oft, an die Männer im allgemeinen gerichtet? Jedenfalls strafte sie auch ihren Bruder mit einem finsteren Blick, als der Feldscher aus seinem Rausch erwacht war und unter das Zeltdach trat.
    Conrad betrachtete Thea sorgenvoll. »Das Kind?« fragte er.
    Thea nickte. »Das Pulver hat Wirkung gezeigt.«
    Er legte eine Hand auf ihre Stirn und fühlte die Temperatur. »Hast du noch Schmerzen?«
    Sie schüttelte zunächst den Kopf, doch dann gestand sie ihm ein: »Es tut weh, wenn ich mich bücke oder mich zu rasch bewege.«
    »Das wird vergehen. Leg dich auf den Wagen! Die Armee bricht bald auf.«
    »Weiter nach Norden?«
    Anscheinend war Conrad der abfällige Ton in ihrer Stimme nicht verborgen geblieben.
    »Scheint dir nicht zu gefallen«, meinte er.
    »Wann werden wir uns endlich nach Süden wenden und Magdeburg befreien?«
    Conrad schwieg einen Moment, bevor er antwortete: »Dort gibt es nichts mehr, was wir befreien könnten.«
    »Wie meinst du das?«
    Er zog aus seinem Wams ein Papier hervor, faltete es auseinander und reichte es Thea. Sie hatte niemals lesen gelernt, deshalb blieb ihr der Sinn der Worte verborgen, die unter das Bild dieses Nachrichtenblattes gedruckt worden waren. Doch sie begriff auch so, was dem Betrachter vor Augen geführt werden sollte.
    Die Abbildung zeigte die brennende Stadt Magdeburg, über der dichte Rauchschwaden den Himmel verhüllten. Im Vordergrund wurde aus einem der Stadttore auf Fuhrwerken die Asche der Toten aus der Stadt gekarrtund zu gewaltigen Haufen aufgeschichtet. Im unteren Teil des Bildes waren Engel zu sehen, welche die Tränen der Überlebenden auffingen und in großen Bottichen sammelten.
    Conrad senkte den Kopf. »Es sind Kuriere aus Magdeburg eingetroffen. Die Stadt wurde nahezu vollständig zerstört. Nur der Dom soll vom Feuer verschont worden sein. Alles andere ist niedergebrannt worden.«
    »Und die Menschen?«
    »Es heißt, einige Bürger hätten im Dom überlebt. Von den anderen entkamen nur wenige hundert. Die meisten Flüchtlinge wurden von den Kaiserlichen aufgegriffen und gegen ein Lösegeld wieder freigesetzt. Die Zahl der Toten aber soll mehr als zwanzigtausend Seelen betragen.«
    Die Zahl traf Thea wie ein Fausthieb. »Zwanzigtausend«, wiederholte sie leise.
    »Sie kippen die Asche der Leichen in die Elbe. Der ganze Fluß ist schwarz – schwarz wie der Tod.«
    Der Kummer schnürte ihr die Kehle zu. Obwohl sie das Inferno mit eigenen Augen mitverfolgt hatte, war das Ausmaß dieser Schandtat kaum zu begreifen.
    »Seht doch!«
    Thea wandte sich zu Katharina um, die einen Kessel über das Feuer gehängt hatte und nun auf den Wagen wies. Als Thea in diese Richtung schaute, war ihre Trauer um die Magdeburger vergessen, denn dort stand Martin und klammerte sich an eines der Räder. Sein Haar stand ihm zerzaust vom Kopf ab, und seine Augen waren von dunklen Ringen gezeichnet, doch allem Anschein nach war er ohne Hilfe aufgestanden und vom Wagen gestiegen.
    »Martin«, sagte Thea und machte einen Schritt auf ihn zu.
    Sein gehetzter Blick wanderte von Thea zu Conrad und wieder zu ihr. »Sie … sind tot? Sie sind alle tot?« brachte er mit krächzender Stimme hervor.
    »Es tut mir so leid.« Thea wollte ihn berühren, doch er wich vor ihr zurück.
    »Meine Frau … ist tot.« Martin richtete zitternd einen Finger auf Thea. »Du hast mich von ihr fortgerissen. Möge Gott dich dafür strafen!«
    Seine Beine gaben nach. Conrad eilte rasch auf Martin zu und fing ihn auf. Thea

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