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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Schrei ausstieß, kaum daß er ganz den Mutterleib verlassen hatte.
    »Du hast es geschafft«, rief Conrad. »Schau dir dieses prächtige Kind an, das du auf die Welt geholt hast.«
    Martin lachte erleichtert und wischte dem Kind den Schleim aus dem Gesicht. In diesem Moment fühlte er einen Stolz in sich aufsteigen, der einem leiblichen Vater gewiß in nichts nachstand.
    Nachdem er die Nabelschnur durchtrennt hatte, legte er das Kind zu seiner Mutter, die es völlig ermattet, aber glücklich an ihre Brust legte. Bald darauf traf Katharina mit der Marketenderin Klara ein, und auch Jöran Poutiainen kehrte zurück und durfte seinen Sohn auf den Arm nehmen. Der Finne, der kaum noch daran geglaubt hatte, daß seine Frau die Nacht überstehen würde, wirkte regelrecht fassungslos vor Glück und dankte Conrad und Martin überschwenglich.
    Katharina stemmte die Hände in die Hüften und bedachte Conrad und Martin mit einem Kompliment auf ihre ganz eigene Art. »Ein Säufer und ein Trübsinniger! Welche Frau hätte sich freiwillig in diese Obhut begeben?«
    »Sie haben es gut gemacht«, meinte Klara, ein grobes Weib mit ausladenden Hüften, aus deren Gesicht freundliche Augen hervorblitzten.
    Klara machte sich daran, die blutige Scham zu waschen, und holte Nadel und Faden hervor, um den gerissenen Damm zu nähen, während Katharina der Finnin stärkenden Nesselsaft verabreichte.
    Martin hockte ganz in der Nähe der jungen Mutter. Er bemerkte, daß sie nach seiner Hand tastete und ihn mit einem strahlenden Lächeln bedachte.
    »Ich stehe tief in Eurer Schuld.« Jöran Poutiainen zog einen Lederbeutel hervor und reichte Conrad einige Münzen.
    »Das ist mehr als genug«, meinte der Feldscher.
    Der Finne schüttelte den Kopf. »Man kann das Leben eines Kindes nicht mit Geld aufwiegen. Wenn Ihr jemals Hilfe brauchen solltet, so laßt es mich wissen.« Er drehte sich zu Martin um. »Das gilt natürlich auch für Euch, Herr …?«
    »Fellinger«, sagte Martin. »Mein Name ist Martin Fellinger.«
    Jöran Poutiainen nickte und klopfte Martin zufrieden auf die Schulter.
    Das erste Tageslicht dämmerte bereits herauf, als die Kutsche Martin, Conrad und Katharina vor ihrem Quartier absetzte. Thea mußte kurz vor ihnen dort eingetroffen sein. Sie saß am Feuer und hielt einen Becher mit dampfender Milch in den Händen. Als Martin und Conrad eintraten, erhob sie sich und kam auf sie zu.
    »Da seid ihr ja endlich«, sagte Thea. »Ich habe den Wagen und das Zelt verlassen vorgefunden. Was ist geschehen?«
    Katharina erklärte ihr mit knappen Worten, daß die Frau des Rittmeisters Poutiainen in dieser Nacht niedergekommen war und daß es der Hilfe eines Wundchirurgen bedurft hatte, um Mutter und Kind das Leben zu retten.
    »Katharina, schenk uns von dem braunen Rum ein«, rief Conrad. »Ich weiß, wir haben nur noch wenig davon übrig, aber dies ist der passende Moment, um die Flasche zu leeren.«
    Katharina kramte eine halbvolle Flasche hervor und goß jedem ein wenig Rum in den Becher. Martin half Conrad, den Becher an den Mund zu führen. Der Feldscher verzog gequält das Gesicht, nickte dann in Martins Richtung und sagte stolz: »Er war meine helfende Hand.«
    Thea maß Martin mit einem ungläubigen Blick. »Du hast das Kind auf die Welt geholt?«
    »Was sollte ich tun? Conrad war schließlich nicht dazu in der Lage.«
    »Zuerst habe ich ja befürchtet, er würde ohnmächtig neben Poutiainens Frau zu Boden sinken«, meinte Conrad. »Aber er hat sich tapfer geschlagen, dein Begleiter.«
    Martin leerte den Becher in einem Zug. »Zeitweilig glaubte ich, meine Finger würden noch weit stärker verkrampfen als die von Conrad.«
    Conrad schmunzelte. »Mir scheint, ich habe ab heute einen tüchtigen Gehilfen an meiner Seite. Es wird Zeit, daß du nicht länger wie ein Toter ins Leere starrst, Martin. Nutze diese Zeit sinnvoller!«
    »Du willst einen Chirurgen aus ihm machen?« fragte Thea.
    »So einfach ist das gewiß nicht, aber ich kann mein Wissen mit Martin teilen. Die Schmerzen in meinen Händen schreiten mit jeder Woche voran. Es wird immer öfter Tage geben, an denen ich nicht mehr in der Lage sein werde, die simpelsten Eingriffe vorzunehmen.«
    Conrad streckte Martin die verkrümmte Hand entgegen. »Ist es abgemacht?«
    Martin zögerte. Er schaute in Conrads erwartungsvolles Gesicht, und plötzlich sträubte sich alles in ihm gegen das Angebot des Feldschers.
    »Such dir besser einen anderen«, sagte er leise, drehte sich um und trat

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