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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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diese so hochgeschätzten Mediziner zumeist nichts Besseres zu tun haben, als in ihren Kollegien ausschweifendüber neue Behandlungsmethoden und Verwaltungsaufgaben zu disputieren, ohne jemals zu fruchtbaren Ergebnissen zu gelangen. Nicht umsonst heißt es im Volke: Drei Ärzte bei einem Kranken, da kann sich der Kirchhof bedanken.«
    »Also bist du kein Arzt. Das habe ich jetzt verstanden.«
    »Ich habe die Kunst der Chirurgie erlernt. Manch einer bezeichnet diesen Beruf auch als Wundenflickerei und nennt ihn unehrenhaft, doch dann verweise ich stets darauf, daß sich das Wort Chirurgie aus der griechischen Sprache ableitet und nichts anderes als »Handwerk« bedeutet. Die Mediziner erachten es immer noch als unter ihrer Würde, das chirurgische Messer zu führen, und wenden sich lieber ihren Uringläsern zu. Also liegt es weiterhin an uns Chirurgen, die groben und blutigen Arbeiten durchzuführen.«
    »Aber du verstehst dich auch darauf, heilende Salben anzufertigen und Kräuter anzuwenden.«
    »Dafür ist wohl mein Vater verantwortlich«, erwiderte Conrad. »Ich war mein Leben lang bestrebt, das an den Menschen gutzumachen, was er an ihnen verbrochen hatte.«
    »Was hat er getan?«
    »Er zog als Bader durch das Land und gab vor, die Leute von ihren Leiden heilen zu können, doch seine einzige Sorge war es wohl, ihnen dabei zu helfen, nicht zu schwer an ihren Geldbörsen zu tragen.«
    »Also war er ein Scharlatan?«
    »Einer der übelsten Sorte. Die Heilmittel, die er bei sich führte, werden im allgemeinen als Dreckapotheke bezeichnet. In ihr findest du Ingredienzien wie gedörrte Kröten, Vogelzungen, Ziegenkot, Schlangenfett, verbrannte Maulwürfe und zahlreiche andere unappetitliche Bestandteile, die ich inzwischen, dem Himmel sei Dank, aus der Erinnerung getilgt hab. Mein Vater pries diese angeblichenWundermittel mit solch salbungsvollen Worten an, daß die Leidenden an seinen Lippen hingen und hofften, mit seiner Hilfe den Krankheitsdämon aus ihren Körpern vertreiben zu können.«
    »Deshalb hast du also so wütend auf die Stiergallenpaste der Hebamme reagiert.«
    Conrad schüttelte sich. »Grauenhaft.«
    Martin befand, daß Conrad genug Blut gelassen hatte. Er drückte seinen Daumen auf die Vene und legte einen Verband an. Dann löste er den Gurt von Conrads Oberarm und setzte sich neben den Feldscher.
    »Erzähl mir mehr von deiner Familie«, bat Martin.
    »Wir waren niemals wirklich seßhaft«, begann Conrad. »Es wäre wohl auch gar nicht möglich gewesen, da die Behandlungen meines Vaters nur in den seltensten Fällen von Erfolg gekrönt waren und zumeist Unmut und Zorn hervorriefen. Doch eine Zeitlang schien selbst er an die Wirkung seiner Dreckapotheke zu glauben. Meine Mutter, eine Frau von schwächlicher Konstitution, litt nach einem strengen Winter an einem schrecklichen Husten, der sie auszehrte und zudem Blut spucken ließ. Ich war noch ein Knabe, aber ich erinnere mich gut daran, daß mein Vater ihr Pillen verabreichte, die er aus pulverisierten Krähenfedern hergestellt hatte. Angeblich, so erläuterte er es mir damals, war meine Mutter von einem Hustenzauber befallen, und die Pillen sollten sie gegen die Kräfte des Bösen immun machen. Nun, einige Tage später hustete sie tatsächlich nicht mehr, weil sie gestorben war.
    Nach ihrem Tod vertiefte mein Vater sich noch stärker in seine Arbeit. Er trank viel, und wenn die gelbe Galle in ihm die Überhand gewann, schlug er auf mich ein, und auch Katharina prügelte er, wann immer er einen Grund dazu fand. Ich vermute, das ist auch der Grund dafür, daß sie noch heute jeden Mann auf der Welt mit Verachtung straft. Die Heilmittel meines Vaters gerieten indes immerobskurer, und die Kuren, die er den Kranken verabreichte, setzten sich aus den widerlichsten Substanzen zusammen, die man sich vorstellen kann.
    Im Jahr darauf behandelte er in einem Dorf eine Frau, die von einem eitrigen Geschwür auf ihrem Rücken geplagt wurde. Er schmierte die nässende Wunde mit frischem Hühnerdreck ein und verursachte dadurch ein hohes Fieber. Zwei Tage später starb die Frau. Noch in der Nacht, in der sie ihr Leben aushauchte, kamen drei Männer zu unserem Nachtlager, ergriffen meinen Vater und prügelten ihn, bis er blutüberströmt und winselnd vor ihnen auf dem Boden kroch. Dann zwangen sie ihn, den Inhalt seiner Apotheke zu fressen, und erhängten ihn an einem Baum. Katharina und ich klammerten uns schützend aneinander und flehten den Herrn an, von der

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