Der Glasmaler und die Hure
Martin grinste. »Katharina, manchmal wünschte ich mir, manwürde dir deine scharfe Zunge herausreißen und sie den Krähen zum Fraß vorwerfen.«
Katharina gab einen verächtlichen Laut von sich und stapfte davon. Martin schaute sich nach Thea um, fand sie aber nicht. Er ging daraufhin zum Wagen, kletterte unter das Plandach und holte den Schlüssel zu der Truhe hervor, die hier auf dem Wagen abgestellt worden war.
Er schloß die Kiste auf, klappte den Deckel hoch und nahm die Zangen, Sägen und Lanzetten zur Hand. Seine Finger strichen so ehrfürchtig über das Metall, als wären es Reliquien. Martin fand auch das Skalpell, das er im Lazarett von Podelwitz benutzt hatte. Mit diesem Messer hatte er Wenzel getötet – und auch jetzt noch, nach fast acht Monaten, klebte dessen getrocknetes Blut an dem Instrumente.
»Conrad hat es niemals wieder benutzt.« Theas Stimme riß Martin aus seinen Gedanken, und er zuckte überrascht zusammen. Sie lehnte am Einstieg und streckte eine Hand nach ihm aus.
»Willst du mir hinaufhelfen?«
Er zog sie auf den Wagen, und sie hockten sich voreinander. Martin stierte versonnen auf das schmutzige Skalpell, doch Thea nahm es rasch an sich und wischte die Blutreste an ihrer Schürze ab.
»Es wurde Zeit, diese Spuren zu entfernen«, meinte sie und gab ihm das saubere Skalpell zurück.
Martin nickte. »Wir wollen vergessen, was geschehen ist.« Er zögerte einen Moment, dann sagte er: »Ich habe Meister Albrecht aufgesucht. Er hat eingewilligt, sein Wissen um die Chirurgie mit mir zu teilen und mich zu seinem Gehilfen auszubilden.«
Thea strahlte. »Das heißt, du wirst bei uns bleiben.«
Plötzlich begriff Martin, daß sie überhaupt noch nicht über seine Reise gesprochen hatten. Conrads Krankheit und die Trauer über seinen Tod hatten sie in den vergangenenbeiden Tagen so beschäftigt, daß sie kaum Zeit allein verbracht hatten.
»Ich habe nicht vor, die Suche nach Rupert und Berthold wieder aufzunehmen. Es gibt auch keine Spur mehr, der ich folgen könnte.«
Thea seufzte. »Soviel Zeit. Sieben Monate. Für nichts.«
»Meine Reise war nicht ohne Sinn«, widersprach Martin. »Ich bin mir in diesen Monaten über vieles klar geworden. Und ich habe meinen Bruder gefunden.«
»Deinen Bruder?«
»Er lebt in Wittenberg. Während der Zerstörung von Magdeburg hat er mit vielen anderen im Dom ausgeharrt. Ich habe fast den ganzen Winter bei ihm verbracht.«
»Und doch bist du zu uns zurückgekehrt.«
Er faßte ihre Hand. »Auf meiner Reise bin ich einem Mann begegnet, der mir klargemacht hat, daß ich um das Verlorene nicht trauern muß, so lange ich die Erinnerung daran bewahre. Sophia wird immer in meinem Herzen sein, doch hier auf Erden brauche ich dich, Thea. Und je mehr ich mir darüber klar wurde, desto stärker kam in mir der Wunsch auf, dich wiederzusehen. Ich habe dich vermißt. Mehr, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.« Er holte ein kleines Leinensäckchen hervor und reichte es ihr. »Du hast dein Leben für mich eingesetzt, und doch habe ich dich so oft im Stich gelassen. Das wird niemals wieder geschehen. Ich verspreche es dir.«
Thea schaute ihn verwundert an und öffnete das Säckchen. Sie ließ die Honigplätzchen auf ihre Hand fallen und betrachtete sie lächelnd.
»Es ist fast wie damals in Magdeburg«, meinte sie.
»Ich werde von diesem Tag an das Versprechen einhalten, das ich dir vor so vielen Jahren gegeben habe«, sagte Martin.
»Du willst also auf mich achtgeben?«
Er nickte. »Was auch immer geschehen mag.«
Thea beugte sich vor und küßte ihn. Er hatte so lange auf diesen Moment gewartet, und nun, da er ihre weichen Lippen spürte und den Duft ihrer Haut atmete, erschien Thea ihm begehrenswerter als jemals zuvor. Ihre Zungen berührten sich, doch schon im nächsten Augenblick rückte Thea von ihm ab.
»Als ich dich vor deiner Reise geküßt habe, hast du mich weggestoßen«, sagte sie.
Martin erinnerte sich verlegen an diesen Tag. »Hast du Angst, das könnte wieder geschehen?«
»Nein.« Thea schmunzelte. Sie biß noch einmal von dem Honiggebäck ab, dann befestigte sie ein Tuch am Ausstieg des Wagens, so daß sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Ihre Augen verrieten, was sie vorhatte.
»Bist du dir sicher?« fragte Martin.
»Natürlich.« Thea öffnete die Lederbänder an ihrem Kleid. »Ich habe schließlich lange genug auf dich gewartet.«
Martin streckte die Arme nach Thea aus und zog sie an sich. Keuchend stürzten
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