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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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sie auf die Bodenplanken, wo sie sich hastig die Kleidung abstreiften und ihre Körper mit Küssen bedeckten.

Kapitel 15
    Der Knabe starb, bevor Thea seinen Namen erfahren hatte. Sein fahles, schweißnasses Gesicht nahm einen starren Ausdruck an, und der letzte Atem fuhr seufzend aus seinen Lungen.
    Sie hatte sich um den Jungen gekümmert, seit er vor zwei Tagen in der Nähe der Fäkaliengruben auf sie zugetaumelt und vor ihr zusammengebrochen war wie eine Puppe, die von keiner Hand mehr gehalten wurde.
    Katharina hatte sich zunächst geweigert, den kranken Knaben in ihre Unterkunft zu schaffen. Thea konnte ihr die schroffe Ablehnung nicht verübeln. Sie wußte, daß der Junge an der roten Ruhr litt – der Seuche, die schon Tausenden in diesem Lager hier vor Nürnberg und vor allem den Menschen, die sich in der Enge der Stadt aufhielten, das Leben gekostet hatte. Sie überließ die Entscheidung Martin, der vorschlug, in gebührlicher Entfernung zu ihrer Unterkunft ein provisorisches Lager für den Jungen zu errichten. Also hatten sie ein Zeltdach über einer Schütte Stroh aufgebaut und den Knaben dort niedergelegt.
    Thea hatte versucht, dem Jungen eine dünne Suppe einzuflößen, um ihn zu Kräften zu bringen, doch er behielt keine Nahrung bei sich und spuckte selbst den fiebersenkenden Tee aus. Oft konnte sie hören, wie seine Zähne trotz der drückendheißen Tage klapperten. Einen Tag und eine Nacht lang siechte der Knabe dahin. Am Morgen darauf starb er.
    Thea fragte sich, ob es Eltern gab, die dieses Kind vermißten, oder ob der Junge zu den vielen Waisen gehörte, die sich scharenweise in der Stadt herumtrieben, von Almosenund Diebstahl lebten und in den feuchten und dunklen Winkelgassen schliefen.
    In den Zeiten der Not waren vor allem die Kinder die Leidtragenden. Sie starben zu Hunderten. Viele von ihnen verhungerten, noch mehr rafften die Seuchen dahin. Thea war des öfteren durch die Straßen Nürnbergs gelaufen. Der Anblick der ausgezehrten zarten Körper, die auf dem schmutzigen Pflaster gestorben waren, wurde für sie zu einer solch schrecklichen Normalität, daß es sie wunderte, wie sehr sie der Tod dieses Knaben noch berühren konnte.
    Thea mußte an Maija Poutiainen denken. Auch ihr Neugeborenes war vor wenigen Tagen gestorben. Wohlgenährt von der Muttermilch und gesund. Trotzdem hatte die Finnin es eine Woche nach der Geburt tot in seiner Wiege gefunden, als habe es sich still und heimlich dazu entschlossen, dem Elend dieser Welt zu entsagen und den anderen Kindern in den Himmel zu folgen.
    Ratten huschten am Zelteingang vorbei. Katharina schlug mit einem Beil auf sie ein und hob ein fettes Tier auf, dem sie fast den Kopf abgetrennt hätte. Sie ließ die Ratte am Schwanz herabbaumeln und betrachtete sie, während das Blut aus dem Hals auf die Erde tropfte.
    »Gut genährt ist sie«, meinte Katharina. »Was meinst du, wollen wir ihr das Fell abziehen und ihr Fleisch in die Suppe schneiden?«
    Auch Thea lief bei dem Gedanken an einen Bissen Fleisch das Wasser im Mund zusammen, doch sie erinnerte Katharina daran, was Martin ihnen geraten hatte.
    »Du weißt, wie viele von uns an der Ruhr erkrankt sind, nachdem sie die Ratten gefressen haben. Willst du so enden wie er?« Thea deutete auf die Lederplane, unter der sich der tote Knabe befand.
    In Katharinas Gesicht zeichnete sich Abscheu ab. »Ge wiß nicht.« Sie warf die Ratte angewidert fort. »Gott bewahre uns vor einem solchen Schicksal.«
    Thea ging zu dem Toten und wickelte ihn in eine Decke ein. Ein beißender Gestank ging von dem Kind aus. Die rote Ruhr verursachte einen blutigen Durchfall. Thea vermied es, zu atmen, als sie das Sacktuch zurechtzog und mit Nadel und Faden zusammennähte.
    Kurze Zeit später vernahmen sie in der Ferne den Klang der Totenglocke, das Signal für einen der Leichenkarren, die durch das Lager fuhren und die Toten zu den Massengräbern schafften. Es hieß, es gäbe zu viele Tote, um sie unter die Erde zu bringen oder zu verbrennen, darum wurden die Körper zu großen Haufen zusammengetragen, die Gerüchten zufolge höher als so manches Haus aufragten. Thea hatte diese Leichenberge niemals mit eigenen Augen gesehen, doch der süßlich faule Geruch, der mit jedem Windhauch herüberzog, ließ in ihrer Vorstellung ein Bild von unzähligen aufgedunsenen Toten entstehen, über die sich Schwärme von Schmeißfliegen, Ratten und Krähen hermachten.
    Der Leichenkarren rollte heran. Thea und Katharina trugen den Knaben zu

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