Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
Vom Netzwerk:
kleiner muskulöser Mann folgte ihr. Er trug einen schwarzen Mantel, dessen Saum über den Boden streifte. Bei sich führte er eine Zange, in der ein frisch gezogener Backenzahn klemmte.
    »Wollt Ihr ihn denn nicht mit Euch nehmen, den Plagegeist?« rief er der Frau hinterher. »Er wird Euch vor Krankheiten schützen, wenn Ihr ihn bei Euch tragt.«
    Die Frau spuckte blutigen Schleim aus, schüttelte nur den Kopf und entfernte sich rasch.
    »Und was plagt Euch?« wandte sich der Mann an Martin.
    »Seid Ihr Meister Albrecht, der Chirurg?«
    Albrecht nickte.
    Martin erläuterte ihm sein Begehren, worauf Albrecht mit einem Stirnrunzeln reagierte.
    »So, Conrad hat Euch empfohlen«, meinte Albrecht. »Warum kommt er dann nicht selbst zu mir und spricht für Euch vor. Oder besser gefragt: Warum bildet er Euch nicht weiter aus?«
    »Er ist gestorben«, sagte Martin.
    »Conrad ist tot?« Albrecht kratzte seinen Schädel. »Friede seiner Seele. Er war ein hervorragender Arzt.«
    »Er hat es gehaßt, als Arzt bezeichnet zu werden.«
    »Ja, in dem Punkt war er stets ein wenig engstirnig.« Albrecht schien einen Moment lang in Erinnerungen versunken zu sein, dann schaute er Martin an. »Und Ihr sagt, er hat Euch zu mir geschickt, damit ich mich um Euch kümmere?«
    Martin nickte. »Das war sein Wunsch. Er hat ihn mir auf seinem Sterbelager anvertraut.«
    Albrecht zog eine Miene, die erkennen ließ, daß er davon wenig angetan war. Er deutete auf Eris und sagte: »Ihr kommt auf einem Pferd zu mir geritten wie ein hoher Herr. Wäret Ihr überhaupt dazu bereit, meine Anweisungen zu befolgen? Und sagt mir, wie alt seid Ihr?«
    »Vierundzwanzig.«
    »Das ist zu alt für einen Lehrling.«
    »Aber Conrad hat mich bereits sehr gut ausgebildet. Ich bin ihm oft zur Hand gegangen und würde Euch nicht zur Last fallen. Ich könnte Euch tatkräftig unterstützen und dabei mein Wissen über die Chirurgie vervollkommnen.«
    »Die Chirurgie ist niemals vollkommen.« Albrecht rieb sein Kinn und wog Martins Vorschlag ab. »Ihr besitzt Eure eigenen Instrumente?«
    »Conrad hat mir alles hinterlassen, was er besaß.«
    »Ich könnte Euch keinen Lohn zahlen.«
    »Den verlange ich nicht.«
    »Gut, ich werde es mit Euch versuchen. Ihr dürft ein halbes Jahr an meiner Seite arbeiten. Dann solltet Ihr genug Erfahrung gesammelt haben, um Conrads Platz einzunehmen.«
    Martin lachte und reichte Albrecht die Hand darauf. Der schlug aber nicht sofort ein, sondern verschwand kurz in seinem Zelt und kehrte mit einer Korbflasche zurück.
    »Branntwein«, meinte Albrecht und zog den Korken heraus. »Wir sollten unsere Vereinbarung so besiegeln, wie es Conrad gefallen hätte.«
     
    Nach dem Gespräch mit Meister Albrecht befand sich Martin in bester Laune. Auf seinem Ritt durch das Lager betrachtete er zufrieden die Menschen in diesem Troß, denen er sich mittlerweile zugehörig fühlte. All die Soldatenweiber, die Handwerker und Hasardeure, selbst die Kriegskrüppel waren für ihn zu einer Heimat geworden, in der auch er nun endlich wieder eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Die Herzlichkeit, mit der Albrecht Weitz ihn aufgenommen hatte, vertrieb seine letzten Bedenken und löste eine regelrechte Gier in ihm aus, sich endlich als Chirurg in dieser Gemeinschaft nützlich zu machen.
    Sein Weg führte ihn an einem Zuckerbäcker vorbei, der auf einem Karren seine Ware feilbot. Zunächst ritt Martin an ihm vorüber, dann aber wendete er, saß ab und suchte in seinem Wams nach einigen Münzen.
    Als er hoch zu Roß ihr Quartier erreichte, zog Katharina eine verwunderte Miene. Sie deutete auf die Stute und meinte schnippisch: »Hattest du nicht gesagt, du wolltest den Gaul seinem Besitzer zurückbringen? Kannst dich von der Mähre wohl nicht trennen, was? Was man einmal besitzt, das gibt man nicht mehr gerne her.«
    Martin nahm zufrieden zur Kenntnis, daß die Trauer um Conrad Katharinas gehässige Zunge keineswegs gelähmt hatte. Anscheinend nahm alles wieder schneller seinen gewohnten Gang, als er es erwartet hatte.
    »Poutiainen hat mir die Stute überlassen«, erwiderte Martin und band Eris’ Zügel an einem Wagenrad fest.
    »Er hat sie dir geschenkt?« Katharina verzog das Gesicht. »Dieser finnische Dummkopf muß große Stücke auf einen Mann halten, der ihn einst im Stich gelassen hat, als er mit einem zerschmetterten Bein ins Lazarett geschafft wurde.«
    »Du hättest dem Rittmeister ja helfen können, wenn du nicht freiwillig auf dem Wagen geblieben wärest.«

Weitere Kostenlose Bücher