Der Glasmaler und die Hure
Fleisch schon nach zwei oder drei Tagen ungenießbar geworden. Statt dessen hatte Martin eine Ader des Ochsen geöffnet und einen halben Eimer Blut aufgefangen. Katharina hatte aus diesem Blut ein Omelett gebraten, das zwar zäh und bitter schmeckte, aber für eine gewisse Zeit den Hunger vertreiben konnte.
Katharina wandte sich vom Feuer ab und deutete zum Wagen.
»Wann schlachten wir endlich diesen dürren Kater? Je länger wir warten, desto weniger Fleisch wird an seinen Knochen sein.«
Thea reagierte auf die Bemerkung nur mit einem abfälligen Laut. Katharina verlangte nicht zum ersten Mal, den Kater Julius zu essen. Thea war das Tier jedoch so sehr ans Herz gewachsen, daß sie lieber hungerte, als Julius unter das Schlachtermesser zu bringen. Sie hatte ihn in den leeren Hühnerkäfig gesperrt und das Gestell mit einem Tuch zugedeckt, um ihn vor den allzu neugierigen Blicken derer zu verbergen, die ihn, ohne zu zögern, mit sich nehmen und ihm das Fell über die Ohren ziehen würden.
»Irgendwann wird auch dich der Hunger dazu treiben, dem Biest ein Messer an den Hals zu setzen.« Katharina verzog das Gesicht und trat davon.
Thea seufzte. Ihr war klar, daß es so nicht mehr weitergehen konnte. Der Hunger würde sie entkräften und anfällig für Krankheiten machen. Katharinas Sorge, daß auch sie schon bald der Leichenkarren fortschaffen würde, war nicht von der Hand zu weisen.
Seit Tagen schon dachte Thea darüber nach, wie einfach es doch im Grunde war, ihnen das Leben während der Belagerung zu erleichtern. Sie hatte bislang darauf verzichtet, Martin von diesem Vorhaben zu erzählen, denn er würde gewiß alles andere als glücklich auf ihren Vorschlag reagieren. Aber es war nun wohl doch an der Zeit, mit ihm darüber zu sprechen.
Es dauerte fast eine Stunde, bis Thea das Lazarett erreicht hatte. Ihr Weg führte sie in das Zentrum Nürnbergs bis zur Barfüßerkirche. Nahe dem Gotteshaus wurde ein leerstehendes Kontor als Krankenlager genutzt, in dem Martin Meister Albrecht zur Hand ging.
Es kostete Thea stets Überwindung, die Stadt zu betreten. Der Tod hielt Nürnberg in einem eisernen Griff gefangen. Jedes ausgezehrte Gesicht, das sie hier erblickte, legte ein deutliches Zeugnis von den Entbehrungen ab, denen die Bürger seit Wochen ausgesetzt waren.
Das Elend wurde mit jedem Tag deutlicher. Vor einigen Wochen noch hatten Hunde und Schweine die Abfall- und Dunghaufen auf den Straßen durchwühlt, nun machten sich die Scharen der halbverhungerten Kinder daran, zwischen Mist und Unrat nach Nahrung zu suchen, denn zu erbetteln gab es für sie schon lange nichts mehr.
Die Situation in der Stadt erinnerte Thea an das Magdeburg am Vorabend des Infernos. Auch dort waren die Straßen und Plätze von den Schutzsuchenden aus dem Umland überfüllt gewesen, und der Hunger hatte um sich gegriffen. Trotz allem hatte in Magdeburg eine gewisse Ordnung vorgeherrscht – eine Ordnung, die hier in Nürnberg mehr und mehr verlorenging. Eine Zeitlang hatte Thea befürchtet, Nürnberg würde ebenso wie Magdeburg von dem katholischen Heer gestürmt und niedergebrannt werden, aber mittlerweile glaubte sie, daß der kaiserliche Feldherr sich diese Mühe sparen würde. Sein stärkster Verbündeter war wie so oft in diesem Krieg der Hunger, der in einigen Tagen oder Wochen die gesamte schwedische Armee kampfunfähig machen würde. Der schwedische König saß wie eine Maus in der Falle, und sein Nimbus der Unbesiegbarkeit wurde der Lächerlichkeit preisgegeben.
Trotz dieser bedrückenden Situation verzweifelte Thea nicht. Die Zeit mit Martin gab ihr an jedem Tag neuenMut, auch wenn sie ihn nur in den Abendstunden und in den Nächten für sich hatte, denn Meister Albrecht spannte Martin fast den ganzen Tag über für seine Zwecke ein.
Sie liebten sich, so oft es ihnen möglich war – so leidenschaftlich, daß sie Katharina bereits aus dem Zelt vertrieben hatten. Die schlief nun auf dem Wagen, wo sie mehr Ruhe fand.
Martin hatte sie nie enttäuscht. Er war zärtlich und zuvorkommend, brachte sie zum Lachen und ihren Körper zum Zittern, wenn er sich des Nachts neben sie legte. Doch Thea wünschte sich, sie könnten diesen prickelnden Rausch ohne die Schrecken genießen, von denen sie hier umgeben waren.
Vor allem auf der Schwelle des Lazarettes wurde sie allzu rasch aus ihren Träumereien gerissen. Schon bevor sie das Kontor betrat, vernahm Thea die Schreie und die Wehlaute der armen Teufel, die in diesem Gebäude,
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