Der Glaspavillon
und hat zwei Töchter. Eigentlich zum Lachen, findest du nicht auch?«
»Warum hast du mir nie davon erzählt, Kim?«
»Jetzt erzähle ich es dir ja. Es ist wichtig für mich, dir das zu erzählen. Und ich hoffe, du weißt, daß du auf meine Hilfe zählen kannst, genau wie ich auf deine zähle.«
»Aber du hast sie nie in Anspruch genommen.«
»Sei nicht albern, Jane, ich war immer auf dich angewiesen.«
Zum Abschied umarmten wir uns, und ich ließ Kim mit ihrem verlegenen Lächeln in der Tür stehen. Aber irgendwie war ich unzufrieden mit dem Gespräch. Ich rief mir unsere frühere Freundschaft ins Gedächtnis, die Wochenendausflüge, unsere gemeinsamen Mahlzeiten, Tee in irgendwelchen billigen Imbißstuben, ausgiebige Spaziergänge. Hatte Kim recht? Ich fragte mich, ob meine Beziehung zu ihr wirklich darin bestanden hatte, daß ich sie um Unterstützung bat und sie mir diese gewährte.
Selbst das, was sie mir jetzt offenbart hatte, kam mir vor wie ein Köder, der mich ermutigen sollte, weiterhin auf diese Weise von ihr abhängig zu sein. Während ich am Kanal entlangradelte, entwarf ich ein Bild unserer Freundschaft, in dem ich stets die Fehlbare, die Bedürftige war und Kim der vitale Freigeist. Beruhten selbst die engsten Freundschaften auf diesem Verhaltensmuster?
Daß der eine gab und der andere nahm?
Diesmal war Helen Auster allein. Bedauernswert abgekämpft kam sie die Treppe zum Büro emporgestapft, unter der Last ihrer dicken Umhängetasche keuchend. Wir schüttelten uns die Hände, und ich führte sie zu meinem Schreibtisch. Helen war tief beeindruckt von der Aussicht, die ich an meinem Arbeitsplatz genoß; ich zeigte ihr den Kai unten beim Kanal, den Weg, auf dem ich immer nach Hause radelte. Dann traten wir ans gegenüberliegende Fenster, von dem man den Turm auf der Isle of Dogs sah, der es ganz nebenbei geschafft hatte, der gesamten Skyline von London ein frivoles Flair zu verleihen.
»Das gefällt mir«, meinte sie.
Ich schenkte uns Kaffee ein, und wir setzten uns an den Tisch.
»Worüber möchten Sie sprechen?« fragte ich. »Bei Unterhaltungen mit der Polizei bekomme ich immer gleich ein schlechtes Gewissen.«
»Ich glaube nicht, daß unser Gespräch so verlaufen wird«, entgegnete Helen.
»Es ist bestimmt schwierig, nach fünfundzwanzig Jahren die Ermittlungen in einem Mordfall wiederaufzunehmen.«
»Unter uns gesagt – eigentlich fangen wir bei Null an«, erwiderte Helen. »Damals hielt die Kriminalpolizei stur daran fest, daß Natalie ausgerissen war. Und deshalb« –
Helen klopfte auf ihre Aktentasche –, »müssen wir die Arbeit jetzt erledigen.«
Damit öffnete sie den Reißverschluß, zog einen schmalen Ordner heraus und reichte mir zwei Blätter, an die jeweils ein paar weitere geheftet waren.
»Hier sind zwei Namenlisten«, erklärte sie. »Auf der einen sind die Gäste der Party, die Alan und Martha Martello am 26. Juli 1969 gegeben haben. Auf der zweiten stehen alle diejenigen, die am darauffolgenden Tag, also dem Sonntag, an dem Natalie zum letztenmal gesehen wurde, anwesend waren: Leute, die entweder im Haus der Martellos oder bei einem der Nachbarn wohnten oder nur für den einen Tag auf Besuch gekommen waren.«
Rasch überflog ich die Namen. Die Listen umfaßten jeweils mehrere Seiten.
»Interessant«, sagte ich. »Woher haben Sie all die Namen? Gab es denn eine Gästeliste?«
»Nein, aber wir haben uns mit mehreren Familien-mitgliedern unterhalten. Am hilfreichsten war Theodore Martello. Ich habe mich jetzt schon einige Male mit ihm getroffen, und er hat ein ganz erstaunliches Gedächtnis.«
Wurde sie jetzt etwa rot?
»Da haben Sie wohl recht. Aber ich entdecke hier Namen von Leuten, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnere. Ich glaube, William Fagles habe ich seit der Party nicht mehr gesehen. Hier steht, die Courtneys wohnen jetzt in Toronto. Ihre Tochter war eine von Natalies besten Freundinnen. Könnte ich Kopien von den Listen bekommen?«
»Das hier sind Ihre Exemplare. Vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge, wenn Sie sich die Namen einfach durchlesen. Wie Sie sehen, haben wir von manchen Gästen nur die Vornamen, vielleicht können Sie die Nachnamen hinzufügen. Möglicherweise fallen Ihnen auch noch andere Leute ein, die dabei waren.«
»Na ja, beispielsweise dieser Gordon hier – das müßte Gordon Brooks sein. Er war ein Freund der Zwillinge.«
»Mit den Zwillingen bin ich die Liste noch nicht durch-gegangen.
Weitere Kostenlose Bücher