Der Glaspavillon
der aggressiven schüchternen Sorte, der bis dahin keine Freundin gehabt hatte. Es war ihm anzusehen, wie er seinen Mut zusammennahm und sich an Natalie heranmachte. Ein-, zweimal hat er spätabends versucht, sie zu umarmen, aber sie hat ihn ziemlich brutal abgefertigt.«
»Unnötigerweise brutal?«
»Weiß ich nicht. So was kann man doch nicht einschätzen. Ich erinnere mich – falls Sie gestatten, daß ich ein bißchen interpretiere –, daß es manchmal so wirkte, als ob Luke sich zum Teil deshalb zu Natalie hingezogen fühlte, weil er damit Paul weh tun konnte.
Und als sie sich von Luke abwandte, spielte sie mit Paul, um Luke zu quälen.«
»Und was haben Sie dabei empfunden?«
»Sie meinen, als mein älterer Bruder von meiner besten Freundin gedemütigt wurde? Es hat mich geärgert.
Vielleicht nicht genug. Hauptsächlich war es mir peinlich.
Möglicherweise war ich auch ein wenig eifersüchtig.
Natalie erregte überall Aufsehen – zumindest bei den Jungs. Sie tat, als würde sie das nicht interessieren, aber das stimmte natürlich nicht. Sie wirkte oft sehr arrogant.
Paul hatte sich schließlich damit abgefunden. Aber, sehen Sie, das Erwachsenwerden ist eine spannungsreiche Zeit.
Ich mache alles viel wichtiger, als es in Wirklichkeit war.«
»Wie war das für Paul?«
»Darüber hat er nie gesprochen, außer in Zusammenhang mit seiner goldenen Jugend, über die er jetzt eine Fernsehdokumentation machen will.«
»Glauben Sie, daß er diese Zeit wirklich so empfunden hat?«
»Heute vielleicht. Aber ich nehme ihm nicht ab, daß es ihm damals gefallen hat, zumindest nicht in jenem Sommer.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
Hinter mir hörte ich ungeduldiges Seufzen.
»Jane, Sie haben mir einen Knochen hingeworfen. Aber das ist nicht das, was Sie mir erzählen wollten.«
Mir war, als stünde ich auf einem sehr hohen Sprung-turm und würde den Sprung nur wagen, wenn ich mich ohne nachzudenken hinunterstürzte.
»Das Schwierige an diesem Sommer war Alans Untreue
– das war immer ein Problem, aber in diesem Sommer ganz besonders.«
»Ja?«
Na ja, was machte es jetzt noch aus?
»Alans Untreue war ein offenes Geheimnis. Die alte Leier: Alan liebt Martha und ist total abhängig von ihr, aber er hatte eine Unzahl von Affären, praktisch während ihrer gesamten Ehe, soweit ich das beurteilen kann. Er hätte sein Verhalten ohnehin nicht geändert, aber als The Town Drain veröffentlicht und Alan berühmt wurde, waren die jungen, noch nicht anderweitig vergebenen Literatinnen nicht mehr zu bremsen.«
»Wußte Martha von diesen Affären?«
»Ich denke ja. Alans Bettgeschichten waren nichts Welt-bewegendes, sie plätscherten einfach dahin, man sprach nicht darüber. Sie waren bedeutungslos. Ich glaube, das war der springende Punkt.«
»Haben sie Martha gestört?«
»So was stört einen doch immer, oder nicht? Martha ist eine kluge Frau, und ich nehme an, sie hat Alan von Anfang an durchschaut und erkannt, daß man ihn so nehmen muß, wie er ist. Aber vielleicht hatte sie kein ausreichend dickes Fell. Ich bin sicher, sie hat immer sehr gelitten.«
»Wußten alle darüber Bescheid?«
»Nein. Manche Dinge haben sich erst rückblickend geklärt, nachdem wir sie uns zusammenreimen konnten.
Ihnen mag das schwer verständlich scheinen, aber manchmal weiß man etwas und weiß es doch wieder nicht.
Verstehen Sie, was ich meine?«
»Absolut.«
»Jedenfalls ließ sich in jenem Sommer Alans Verhalten nicht länger vertuschen. Um die lange schmutzige Geschichte auf den Punkt zu bringen: Wenige Tage vor der großen Party kamen wir dahinter, daß Alan mit einer Freundin von Natalie und mir im Bett gewesen war. Sie war sechzehn, genau wie wir. Sie hieß Chrissie Pilkington und war die Tochter von guten Freunden. Sie besuchte dieselbe Schule wie Natalie. Es war schrecklich.«
»Wie haben Sie das herausgefunden?«
»Sie hat es Natalie erzählt und Natalie wiederum mir. Es war eigentlich seltsam – wir haben uns den ganzen Nachmittag ausführlich darüber unterhalten. Ich glaube, mich hat es mehr mitgenommen als Natalie. Sie wirkte nicht überrascht, sondern eher angewidert. Sie ließ kein gutes Haar an ihrem Vater und machte sich über seine Bierfahne und seinen Wanst lustig. Ich weiß noch, wie sie ihn als Betrunkenen nachgeahmt hat. Doch später hat sie die Sache nie wieder erwähnt, und ich auch nicht.
Wahrscheinlich wußte ich, daß ich lieber den Mund halten sollte.«
»Haben Sie Alan darauf
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