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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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angesprochen? Oder Martha?«
    »Nein, es schien mir nicht der richtige Zeitpunkt. Aber ich habe Theo davon erzählt. Ich nehme an, die meisten von uns jungen Leuten haben es gewußt.«
    »Was ist dann passiert? Was haben Sie bei all dem empfunden?«
    »Was passiert ist? Das weiß ich nicht, ehrlich. Irgendwie ging es in dem Tumult wegen Natalies Verschwinden unter. Solche Sachen beschäftigten Alan nie besonders lange, und er nutzte Natalies Verschwinden als Möglichkeit, um Gras über die Sache wachsen zu lassen.«
    »Und wie waren Ihre Gefühle?«
    »Unterschiedlich. Immer schon, was Alan angeht.
    Manchmal glaube ich, er ist nur ein gemeines Arschloch, das zu allem fähig ist, wenn ihm gerade der Sinn danach steht. Und manchmal finde ich ihn nur bemitleidenswert und schwach und habe das Gefühl, man muß sich um ihn kümmern oder sich mit ihm abfinden. Und hin und wieder sehe ich ihn auch mit den Augen der Leute, die ihn nicht so gut kennen: der alte, unverbesserliche Alan, ein bißchen ausgeflippt und extravagant, aber originell – welch ein Glück, daß wir ihn haben. Wenn ich mich Martha besonders nahe fühle, hasse ich ihn, aber sie nimmt das alles ziemlich gelassen.«
    Ich konnte nicht weitersprechen. Mein Kopf war leer.
    Ich fühlte mich ausgelaugt. Auch Alex schwieg nachdenklich.
    »Entschuldigen Sie, daß ich so grob war, Jane«, sagte er schließlich.
    »Das waren Sie wirklich.«
    Alex erhob sich und drehte seinen Stuhl so, daß ich ihn sehen konnte. »Jane, die Zeit ist fast um, und bestimmt sind Sie erschöpft, aber ich möchte trotzdem noch etwas ausprobieren. Ich wollte es für spätere Sitzungen aufhe-ben, aber es ist einen Versuch wert.«
    »Was?«
    »Immer mit der Ruhe, Jane. Ich möchte, daß Sie jetzt die Führung übernehmen. Ich will der Fährte folgen, die Sie mir weisen. Wir reden hoffentlich noch über viele Dinge, aber ich habe den Eindruck, daß sich die Erinnerungslücke um den Tag zentriert, an dem Natalie verschwunden ist, und zwar was Ihr Zusammentreffen oder Beinahezusam-mentreffen mit Natalie betrifft.«
    »Und?«
    »Ich möchte das noch einmal aufgreifen.«
    »Ich bin nicht sicher, ob es da noch etwas aufzugreifen gibt. Es ist so lange her.«
    »Ja, ich weiß. Lassen Sie uns eine Entspannungsübung machen. Sie tut Ihnen bestimmt gut. Legen Sie sich zurück, schließen Sie die Augen und entspannen Sie Ihren Körper vollständig, beginnend bei Füßen und Beinen, dann den Rumpf, die Arme, schließlich das Gesicht und den Kopf. Ist das ein gutes Gefühl?«

    »Mmh.«
    Alex’ Stimme ähnelte jetzt einem Summen im Hintergrund, ähnlich dem der Bienen vor dem Fenster.
    »Jetzt, Jane, möchte ich Sie bitten, sich mit geschlossenen Augen noch einmal die Szene am Fluß ins Gedächtnis zurückzurufen, an dem Tag, an dem Natalie verschwand.
    Ich möchte nicht, daß Sie sie beschreiben, und auch nicht, daß Sie sie sich anschauen. Sie sollen sich nur noch einmal erinnern, wie es war, als Sie am Fluß saßen. Gehen Sie noch einmal dorthin zurück. Können Sie das?«
    »Ja.«
    »Sie sitzen mit dem Rücken zum Hügel, richtig?«
    »Ja.«
    »Beschreiben Sie es mir.«
    »Ich spüre den Felsen des Cree’s Top hinter mir. Zu meiner Rechten ist der Wald, der zwischen dem Fluß und Stead liegt. Links fließt der Col, von mir weg. Das weiß ich, weil die Papierstückchen, die ich zerknülle und hineinwerfe, wegschwimmen. Wenn sie die Biegung erreichen, hüpfen sie über die kleinen Stromschnellen, na ja, eigentlich ist es ja bloß seichtes Wasser, das über Steine fließt. Dann sind sie außer Sichtweite.«
    »Wie ist das Wetter?«
    »Warm, sehr warm. Früher Nachmittag. Ich sitze im Schatten einer Gruppe von Ulmen, die rechts von mir den Waldrand säumen. Der Felsen in meinem Rücken ist kühl.«
    »Tun Sie irgend etwas?«
    Plötzlich konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen und fing an zu stottern.
    »Ist gut, Jane, öffnen Sie die Augen. Das reicht für heute.«

    Ich richtete mich langsam auf.
    »Übrigens«, sagte er, »weshalb heißt Alan Martellos Roman The Town Drain? Ist es ein Zitat oder etwas in der Art?«
    »Haben Sie das Buch nicht gelesen?«
    »Nein, aber ich habe es fest vor.«
    »Ich dachte, jeder hätte das Buch gelesen. Der Titel geht auf einen Satz des Oxforder Geschichtsprofessors William Spooner zurück, in dem – ähnlich wie bei Schüttelreimen
    – die im Satz auftauchenden Konsonanten vertauscht werden, so daß sich der Sinn verdreht. Man nennt das
    ›Spoonerismus‹.

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