Der Glaspavillon
Aber schreiben Sie den Nachnamen doch bitte dazu.«
»Klingt nach einem ziemlich mühsamen Verfahren.«
»Ganz bestimmt interessanter als so manches, was andere Kollegen machen müssen.«
»Haben Sie schon mit Alan gesprochen?«
»Ja, selbstverständlich«, antwortete Helen. »Hier, sehen Sie, welches Buch ich gerade lese.«
Sie wühlte in ihrer Tasche und zog ein nagelneues Exemplar von The Town Drain hervor.
»Gefällt es Ihnen?«
»Es ist toll. Zwar bin ich in Literatur nicht sonderlich gut bewandert, aber ich finde das Buch höchst amüsant. Alan Martello wirkt immer so vornehm, man kann sich gar nicht vorstellen, daß er etwas so … na ja, etwas so Respektloses verfaßt.«
»Ich finde Alan gar nicht so wahnsinnig vornehm.«
»Jedenfalls hat er ziemlich scharf reagiert, als ich ihn fragte, was er momentan schreibe. Ihre Familie ist wirklich bemerkenswert.«
»Anscheinend sind sehr viele Leute dieser Ansicht.
Wenn Sie alle Bücher lesen würden, die von Mitgliedern unserer Familie verfaßt worden sind, müßten Sie sich ein Jahr freinehmen. Angefangen mit den ganzen Kinderbüchern, die Martha illustriert hat. Manche davon sind wirklich wunderbar, und während Alan lautstark und theatralisch mit seiner Schreibhemmung kämpfte, hat Martha in aller Stille fleißig weitergearbeitet.«
»Ich denke, fürs erste halte ich mich weiter an Alan Martello. Sind seine anderen Bücher auch so gut?«
»Es gibt nur noch einen Roman und ein paar Antholo-gien. Nichts, was qualitätsmäßig auch nur ansatzweise an den Town Drain heranreicht. Aber erzählen Sie Alan bloß nicht, daß ich das gesagt habe.«
Eine Weile plauderten wir über andere Dinge. Helen fragte mich über Architektur aus, und ich erkundigte mich, weshalb sie zur Polizei gegangen war. Sie erzählte mir, daß sie Physik studiert hatte, bei der Aussicht an ein Leben im Labor aber plötzlich panisch geworden war und alles über den Haufen geschmissen hatte – was mir äußerst sympathisch war. Schließlich trank sie ihren Kaffee aus.
»Ich glaube, ich gehe jetzt lieber«, sagte sie. »Wenn Sie die Liste durchgesehen haben, können wir uns ja noch mal verabreden, falls Sie möchten. Zur Zeit bin ich sehr oft in London.«
»Stört das Ihren Mann nicht?«
»Er arbeitet noch mehr als ich.«
Ich brachte sie zur Treppe, denn ich mußte unbedingt noch etwas loswerden.
»Helen, fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Hat diese neue Ermittlung denn wirklich einen Sinn?«
»Aber sicher.«
»Ich dachte, man könnte vielleicht einen DNS-Test vornehmen, an dem … na ja, Sie wissen schon, an dem Baby. Aber Claud meint, das kann man nicht, nicht nach so langer Zeit.«
Helen lächelte.
»Stimmt.«
»Es gibt also keinen forensischen Nachweis.«
»Wir können noch das eine oder andere versuchen.
Allerdings nichts, was die gute altmodische Polizeiarbeit ersetzen könnte. Das predigt uns unser Chef unablässig.
Auf Wiedersehen, Jane, bis bald.«
Mein Vater erklärte kategorisch, er wolle nichts mit Pauls Fernsehsendung zu tun haben. Paul hatte gebettelt und getobt und ihm sogar Erica auf den Hals gehetzt – mit Blumenzwiebeln für Dads Garten als Vorwand –, damit sie sich für ihn verwendete. Doch mir kam es überhaupt nicht in den Sinn, Paul abzuweisen.
Ich radelte durch den leichten Nieselregen zu dem Restaurant in Soho, das Paul ausgesucht hatte. Seine Assistentin war eine junge Frau namens Bella – sehr groß und schlank, mit einer roten Mähne und großen, kajalumrandeten Augen, die sie voller Verehrung auf Paul gerichtet hielt. Außerdem war sie offenbar Kettenrau-cherin, denn sie steckte sich eine penetrant riechende Zigarette nach der anderen an. Dazu trank sie Mineralwasser und stocherte in ihrem Salatteller herum.
Während ich meine pochierten Eier verzehrte, fragte ich Paul, mit wem er sich sonst noch zu einem Gespräch verabredet hatte.
»Weißt du eigentlich, daß Dad nicht mit mir sprechen will?«
Ich nickte. »Aber Alan war großartig. Ich hatte schon zwei Termine mit ihm. Meine Güte, er ist wirklich wort-gewaltig. Übrigens hat er sich den Bart und die Haare etwas länger wachsen lassen, so daß er jetzt hager und richtig wild aussieht. Dauernd hat er aus irgendwelchen Gedichten zitiert und davon geredet, daß die Schwächsten sich als die Stärksten erweisen werden und solches Zeug.
Von unseren gemeinsamen Sommern sprach er, als würde er aus einem Roman vorlesen.«
Ich verzog das Gesicht. »Er hat die letzten beiden
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