Der Glaspavillon
mit einem Klemm-brett unter dem Arm auf der Bühne herum. Ich quetschte mich durch die Reihe zu zwei leeren Plätzen in der Mitte.
Theo war noch nicht da. Neben mir saß ein Mann, der in seinem weiten Tweedmantel beinahe versank. Zuerst trat ich ihm auf den Fuß, dann stolperte ich über seinen Plastikbeutel.
»Entschuldigung«, sagte ich etwas gereizt, aber er nickte nur kurz, bevor er wieder an die Decke starrte.
Theo erschien. Mit schwarzem Anzug und Aktentasche wirkte er förmlich und fehl am Platz. Er küßte mich auf die Wange und flüsterte: »Ich war eben bei Alan. Er ist betrunken.«
»Betrunken?« wiederholte ich entsetzt.
»Ja, ich glaube, er hat Schiß.«
»Wie meinst du das, er ist betrunken? In ungefähr einer Minute soll er auf der Bühne stehen.«
»Na ja, er kann noch reden«, erklärte Theo. »Vermutlich wird es Mrs. Judd schwerfallen, ihn zu unterbrechen.«
Ich stöhnte. Warum war ich nur hierhergekommen?
Kurz nach acht betrat Lizzie Jud entschlossenen Schrittes die Bühne: eine strenge, schöne Frau in einem figurbetonenden grauen Kostüm. Ihre blonden Haare waren straff aus dem Gesicht gekämmt; sie trug keinerlei Schmuck oder Make-up und hatte auch keine schriftlichen Notizen bei sich. Sie nahm auf einem der beiden Stühle Platz und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Dann kam Alan – beschwingt und lässig wie zu einer Talkshow.
»Was hat er denn bloß an, Theo?« fragte ich voller Entsetzen.
Natürlich kannte ich die Antwort: Alan war in dem Samtjackett erschienen, das er manchmal abends zu Hause trug. Auf seiner grauen Haarmähne thronte ein schwarzer Filzhut. Unwillkürlich mußte ich an das Toulouse-Lautrec-Poster denken, das ich früher einmal in einer meiner Studentenbuden an der Wand hängen hatte. Dieser trotzige Mann, der so wenig Wert auf ein würdevolles Äußeres legte, rührte mich zutiefst. Zögernder Applaus ertönte, doch der Mann neben mir gehörte zu den wenigen, die klatschten. Alan ließ sich schwer auf den Stuhl neben Lizzie Judd sinken. In der Hand hielt er ein großes Glas, dreiviertelvoll mit einer whiskyfarbenen Flüssigkeit. In aller Ruhe nahm er einen Schluck und ließ dabei seine Augen über das Publikum schweifen.
Elizabeth drückte ihm ihr Mitgefühl aus (»und sicher auch das aller Zuhörer«), da der Fund von Natalies Überresten nun ihren Tod endgültig bestätigt hatte. Dann beschrieb sie in knappen Worten The Town Drain (»antiromantisch … ganz in der Tradition des satirischen Realismus … untere Mittelschicht … aus rein männlicher Perspektive«). Mit einem Satz ging sie noch auf die weit weniger bekannten Nachfolger des Romans ein und schloß mit der Bemerkung, daß die lange Veröffentlichungspause ein Thema war, auf das man sicher später noch zu sprechen kommen würde.
»Mr. Martello«, wandte sich Lizzie Judd dann an Alan.
»Bitte nennen Sie mich Alan«, unterbrach er sie.
»In Ordnung, Alan. John Updike hat einmal gesagt, es gibt keinen Grund, humoristische Romane zu schreiben.
Was sagen Sie dazu?«
»Wer ist John Updike?« erwiderte Alan.
Lizzie Judd machte ein erschrockenes Gesicht.
»Wie bitte?«
»Ist er Amerikaner?«
»Ja.«
»Na dann.«
»Ist das Ihre Antwort auf meine Frage?«
Während dieses Wortwechsels lümmelte sich Alan auf seinem Stuhl (mir fiel auf, daß er verschiedenfarbige Socken trug). Doch nun setzte er sich langsam aufrecht, nahm noch einen Schluck Whisky und beugte sich zu Lizzie hinüber.
»Sehen Sie, Lizzie, ich habe einen guten Roman geschrieben. Einen verdammt guten Roman. Haben Sie vielleicht zufällig ein Exemplar davon mitgebracht?
Nein?« Er wandte sich ans Publikum. »Hat jemand mein Buch dabei?« Keine Reaktion. »Offnen Sie doch bitte The Town Drain auf der Seite mit dem Impressum, dann werden Sie sehen, daß der Roman Jahr für Jahr neu aufgelegt wird. Offensichtlich bringt er die Leute zum Lachen. Warum sollte ich mich darum kümmern, was irgendein verklemmter Amerikaner labert?«
Von Lizzie Judd ging eine eisige Ruhe aus.
»Vielleicht sollten wir zum nächsten Punkt übergehen«, meinte sie. »Ihre Romane sind in letzter Zeit ins Kreuzfeuer feministischer Kritik geraten.«
Alan schnaubte verächtlich.
»Wie bitte?« fragte Lizzie.
»Schon gut, fahren Sie fort.«
»Man hat gesagt, daß Frauen in Ihren Büchern entweder als Schreckschrauben oder aber als großbusige Sexobjekte für die jeweiligen männlichen Hauptpersonen dargestellt werden. Sogar einige Ihrer Bewunderer haben
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