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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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sich nicht aus der Ruhe bringen.
    »Ist dies Ihre Einstellung zum Thema Vergewaltigung, Mr. Martello?«
    Alan trank seinen Whisky aus und wollte das Glas wegstellen. Leider verpaßte er den Tisch um einige Millimeter, so daß das Glas klirrend zu Boden fiel.
    »Ach, ist doch egal«, sagte er wegwerfend. »Alles Scheiße! Frauen mögen starke Männer und ein bißchen Gewalt. Erst hinterher beklagen sie sich, weil sie sich gut fühlen, wenn sie sich beklagen. Sie wollen nicht zugeben, daß sie es mögen, wenn man sie bespringt wie läufige Hündinnen. Bei mir hat sich übrigens noch nie eine beschwert. Aber das darf man ja auch nicht laut sagen, stimmt’s? Das ist politisch unkorrekt, hab ich recht?«
    »So lautet also Ihre Einstellung, die Sie als angesehener Schriftsteller hier vertreten?« fragte Lizzie Judd, der angesichts dessen, was sie da heraufbeschwor, mittlerweile zumindest einen Anfang von Beunruhigung anzumerken war.
    »Ich bin kein beschissener angesehener Schriftsteller!«
    rief Alan mit heiserer Stimme. »Seit dreißig Jahren hab ich keinen einzigen beschissenen Roman mehr geschrieben.
    Aber ja, wir Schriftsteller sind doch keine Sozialarbeiter.
    Wir leben in einer Welt, in der ganz normale Männer zu Mördern werden, in der Frauen gefickt oder vergewaltigt werden wollen und nicht mal den Unterschied bemerken.
    Es ist eine beschissene Phantasiewelt.«
    »Manche Leute meinen, es gibt einen fließenden Übergang zwischen Mißbrauchphantasien, wie sie in Romanen wie Ihrem dargestellt werden, und der realen Gewalt, unter der Frauen zu leiden haben. Was meinen Sie dazu?«
    Etwas wackelig erhob sich Alan.
    »Sie möchten gern einen fließenden Übergang sehen?
    Dann will ich Ihnen mal einen zeigen.«
    Wie ein gefällter Baum stürzte er sich auf die verblüffte Lizzie Judd, preßte eine Hand auf ihre Brust und küßte sie schmatzend auf den Mund. Offenbar war das Mikrofon dicht an ihrem Gesicht, denn der Kuß hallte laut durch den Saal. Mehrere Eindrücke stürmten gleichzeitig auf mich ein. Die Kameras surrten, Schreie erklangen aus der Menge, mehrere Zuhörer sprangen auf und drängten nach vorn, jemand trennte Alan von Lizzie Judd. Er befreite sich und fing an herumzubrüllen:
    »Ihr glaubt also, ich hätte keine Ahnung, was eine Vergewaltigung ist? Meine Tochter ist vergewaltigt und ermordet worden, und man hat den Mann, der es getan hat, auf freien Fuß gesetzt! Er hat sich auf sein beschissenes Schweigerecht berufen, hat keine einzige Frage beantwortet, und daraufhin hat die Polizei ihn freigelassen, einen Vergewaltiger und Mörder! Und jetzt könnt ihr mich meinetwegen kreuzigen!«
    Noch eine Weile krakeelte er weiter, größtenteils unverständliches Zeug, und ruderte dabei wie ein Wilder mit den Armen. Schließlich gelang es ein paar Leuten aus dem Publikum, die inzwischen die Bühne gestürmt hatten, ihn zu bändigen. Theo bahnte sich durch die Menge einen Weg zu seinem Vater. Auch Lizzie Judd wurde wieder auf die Beine geholfen, allerdings war ihre Frisur zerzaust, ihr Lippenstift verschmiert, und sie hielt eine Hand schützend ans Auge gedrückt. Nur ich saß noch auf meinem Platz, unfähig, mich zu rühren.
    »Herr des Himmels«, sagte ich laut. »Was für eine absolute Scheißkatastrophe.«
    »Es war doch gar nicht so schlimm.«
    Erschrocken sah ich mich um. Die Worte kamen von dem Mann neben mir.
    »Moment mal. Ich habe gerade mit angesehen, wie mein Schwiegervater sich zum Verteidiger von Vergewaltigungen aufgeworfen und eine namhafte Feministin tätlich angegriffen hat, und das vor einem zahlenden Publikum.
    Für mich ist das schlimm genug.«
    »Ich wollte nur sagen …«
    »Verschwinden Sie.«
    Tatsächlich erhob sich der Mann und ging. Ich war allein.

    14. KAPITEL
    Die Neville Chamberlain School in Sparkhill war ein einziges Desaster aus grauem Beton. Wahrscheinlich höchstens zwanzig Jahre alt und schon von Feuchtigkeit durchsetzt wie von Achselschweiß.
    Ich war noch in der Dunkelheit von zu Hause weggefahren, und als ich jetzt den Wagen vor der Schule parkte, war es noch nicht mal acht Uhr. Weit und breit keine Menschenseele. Die beschlagenen Scheiben und das rasch abkühlende Wageninnere waren nicht weniger depri-mierend. Da ich außer dem Stadtplan von London nichts zu lesen dabeihatte, stieg ich aus und ging über die Straße in ein winziges Café gegenüber vom Haupttor der Schule.
    Dort bestellte ich einen großen Becher Tee und dazu Spiegeleier, Speck und gegrillte Tomaten. An

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